Neue Serie – für genau 1 Jahr:

Murmeleien eines bekennenden 68ers

Neuer Trend in der deutschen Sprache: Der Einsatz der Wörter „tatsächlich“ und „genau“ könnte in Zukunft in der gesprochenen Sprache Pflicht werden. „Tatsächlich“ ist dann immer zu benutzen, um einer Tatsache, und sei sie noch so belanglos, Relevanz zu verleihen. „Genau“ kommt dann immer zur Anwendung, wenn es entweder um eine sinnfreie Selbstbestätigung oder um eine schlichte Antwort auf ziemlich alles geht.

 

Don’t read my diary when I’m gone. OK, I’m going to work now. When you wake up this morning, please read my diary. Look through my things, and figure me out. (Kurt Cobain: Journals)
Lust auf regelmäßige Updates oder Infos? Dann bitte schriftliche Bestätigung per Mail an ke@kurteimers.de

 

 

So ein Käse

 

 

Zum Leidwesen gemäßigter Zonen sind viele Bewohner gemäßigter Zonen nicht halb so gemäßigt wie ihre Zonen. (Meteorologisch-soziologische Erkenntnis)

Viele Menschen sehen in einem Fahrstuhl eine Aufstiegsmöglichkeit. Wenn sie sich da mal nicht täuschen.

 

 

KurtsWellen

KI & Boulevard – it’s such a perfect match.

Im Newsletter kress pro las ich unlängst: „Die KI ‚Klara Indernach‘ schreibt bei ‚express.de‘ bereits 11 Prozent der Artikel. Das Empfehlungssystem „Recommender“ bringt eine Steigerung der Click-Through-Rate (CTR) von 80 Prozent gegenüber der manuell kuratierten Version der Homepage.  Das machte mich neugierig und flugs ging ich auf die Website. Und las:
„Mega-Star mit Hand in der Unterhose. – Das homosexuellste Ding, was du je gesehen hast“.
Was mochte das bedeuten? Ich wusste es nicht. Also erhöhte ich die Click-Through-Rate und las u.a. dies:
„Kristen Stewart setzt mit ihrem jüngsten Shooting für das Magazin „Rolling Stone“ ein starkes Zeichen gegen Geschlechterklischees! (…) Mit ihrer Hand im Suspensorium und einem verführerischen Blick zieht Stewart die Aufmerksamkeit auf sich. Die 33-Jährige nutzt das Cover, um eine klare Botschaft zu vermitteln. (…) Stewart kritisiert im Zuge ihres Cover-Shootings die Tatsache, dass sie während ihrer Zeit in der „Twilight“-Reihe nie auf dem Cover des „Rolling Stone“ zu sehen war. Ein Privileg, das ihren männlichen Co-Stars vorbehalten worden sein soll. Sie interpretiert dies als Beleg für die vorherrschenden Geschlechterstereotype, die Männer als die begehrteren Sexsymbole darstellen.
Mit ihrem aktuellen Auftritt möchte Stewart diese Wahrnehmung herausfordern und ein Statement für mehr Vielfalt und Offenheit setzen.  Der Artikel im Magazin ist mit einem Zitat von ihr versehen, der das Foto beschreiben soll: „I Want to Do the Gayest Thing You’ve Ever Seen in Your Life“ (Deutsch: „Ich will das homosexuellste Ding machen, was du jemals in deinem Leben gesehen haben wirst“).“
Noch Fragen?

 

 

 

 

 

 

Zwischenruf

nicht immer ist es zu schnell vorbei
nicht jedes glück hat seinen preis
nicht immer ist niemals ein weg
nicht alles hat worte das lebt
nicht immer ist zeit nichts als geld
nicht alles ist immer zu viel
nicht jedes mal ist eines das zählt
nicht immer muss alles noch mehr
nicht alles was ist vergeht

 

 

La Vision de Perceval

trois gouttes de sang dans la neige
ta bouche si rouge et tes yeux de feu
tombés du ciel, pris dans un piège
la lune les éclaire et pleure un peu

la nuit les caresse de ses mains voluptueuses
cette fée du mal, triste et heureuse
elle lutte en vain l‘aurore qui monte
la neige qui fond et ta bouche qui chante

 

 

Die kleinen Mönche

Episode 2: Der Kampf ums Bachwäldchen

(Geschichten aus dem Reihenendhaus oder wie so was wie ein Märchen weitergeht)

Was bisher geschah

Ein Mädchen namens Karoline hat im Alter von fünf Jahren eines Nachts eine merkwürdige Begegnung, an die sie sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kann. Vier Jahre später – Karoline ist inzwischen neun und mit ihren Eltern gerade umgezogen – hat sie die gleiche Begegnung wieder. Und dieses Mal bleibt nicht nur die Erinnerung, dieses Mal treten fünf kleine Mönche in ihr Leben. Die Winzlinge kommen von ziemlich weit her, haben ihre Heimat Tibet verlassen müssen, leben in Deutschland jetzt sozusagen im Exil und haben auf dem Dach eines Straßenbahndepots ein neues Zuhause gefunden. So weit, so gut. Doch eines Tages fängt ein Trupp Elstern an, die kleinen Mönche erst zu bedrohen, dann zu verfolgen und immer wieder anzugreifen. Und obwohl die kleinen Mönche den einen oder anderen Zaubertrick drauf haben, schaffen sie es nicht, sich der Elstern zu erwehren. Die Elstern scheinen immun zu sein gegen die Zauberkünste der kleinen Mönche.
Also haben sich die kleinen Mönche in einen Umzugskarton geschlichen und sind mit Karoline und ihren Eltern umgezogen. Und in der ersten Nacht im neuen Zuhause nehmen sie wieder Kontakt auf zu Karoline. Sie soll ihnen helfen. Nachdem sich Karoline die Geschichte der kleinen Mönche angehört hat, willigt sie ein.
Nach und nach aktiviert Karoline ein paar Erwachsene, die ihr beim Helfen helfen: erst ihren Vater, dann einen Künstler, der im Straßenbahndepot Karnevalswagen baut, und schließlich ihre Mutter. Nach einigen Überlegungen, Nachforschungen und Aufregungen gelingt es, den Grund für das merkwürdige Verhalten der Elstern zu finden: Sie fressen seit einiger Zeit schon von einem Fischmehl, wie man es an Hühner verfüttert. Dieses lagert in einem vergessenen Raum im Straßenbahndepot, ist lange schon über die Mindesthaltbarkeit hinaus und deshalb – giftig. Nachdem sie den Raum entdeckt haben, sorgt der Künstler dafür, dass er verschlossen und das Hühnerfutter entsorgt wird. So können die Elstern, die schon eine Sucht nach dem Zeugs entwickelt haben, nicht mehr ran und müssen sich ihr Futter wieder anderweitig suchen. Dies führt dazu, dass sie sozusagen entgiftet und somit wieder ungefährlich werden. Weil dies aber eine ganze Weile dauern wird, bleiben die kleinen Mönche bis auf Weiteres bei Karoline und ihren Eltern in deren neuem Zuhause.

Und da sind sie nun – und mittendrin in einem neuen Abenteuer…

 

Vorwort

Morgen bin ich weg. Raus aus der kleineren Stadt neben der großen Stadt. Was nicht weiter tragisch ist. Raus aus meinem Zuhause, aus dem Reihenendhaus, aus meinem Zimmer. Das ist schon ein bisschen traurig. Und weg von Mama und Papa. Das ist schon ziemlich traurig. Andererseits: Ich will jetzt mein Leben so führen, wie ich es will. Wenn ich zu Hause bliebe, würden mein Leben und das von Mama und Papa regelmäßig auseinander laufen. Oder ineinander krachen. Beides blöd. Also ziehe ich morgen aus. Und mach mich auf in eine wirklich große Stadt: Berlin. Dort kann ich erst mal bei einer Freundin wohnen, ich habe eine Stelle für meinen Freiwilligendienst, und den Rest sehen wir dann. Aber vorher musste ich hier noch was erledigen. Und daran ist die dicke Kladde schuld, die gerade vor mir liegt. Denn:

Nachdem wir das Abenteuer mit den Elstern gut überstanden hatten, habe ich die Geschichte der kleinen Mönche regelmäßig weitergeschrieben. In vielen Episoden. Denn die Mönche waren ja mit ins neue Zuhause gezogen. Immer wenn wieder sowas Kleinemönchemäßiges passiert war in unserem Leben – zack, hat Karoline es aufgeschrieben. Und dabei ist einiges zusammengekommen. Die erste dieser Episoden, die erzählt, wie alles zu dem kam, wie es dann war und war, die habe ich ja damals direkt aufgeschrieben. Die anderen kamen über die Jahre nach und nach hinzu – und dann in die Kladde, zur „Akte kleine Mönche“. Und die wurde darüber immer fetter. Anderen habe ich natürlich nie was von unseren kleinen Mitbewohnern erzählt. Und wenn, dann konnten sich später nichts davon erzählen. So wie meine Eltern auch nichts erzählen konnten, wenn sie was gewusst haben, so zwischendurch. Warum doch und dann wieder nicht, erfahrt ihr noch. Und die Kleinen Mönche konnten aus verständlichen Gründen auch gut auf weitere Bekanntschaften verzichten. Wobei…

In den letzten Wochen habe ich alle Kleine-Mönche-Episoden aus all den Jahren noch einmal gesichtet und geordnet. Geordnet, ich! Jetzt sind sie präsentabel. Ich habe sie hier und da sogar ein bisschen überarbeitet. So eine Art Selbst-Lektorat.

Doch nun genug der schönen Vorworte. Jetzt lest mal diese zweite Episode, die erste echte Kleine-Mönche-Story aus dem Reihenendhaus. Viel Spaß wünscht euch eure Karoline.

 

Kapitel 1: Die Gemeinheit der kleinen Mönche

Willkommen in der neuen Wartezeit, dachte ich. Und dann: Verflixt, welchen Namen geb ich jetzt dieser Elster?

Diese erste der Kleine-Mönche-Geschichten aus dem Reihenendhaus beginnt nicht ohne Grund mit den beiden Sätzen, mit denen ich die Erzählung meiner Erlebnisse rund um die kleinen Mönche, die Elstern, das vergammelte Hühnerfutter und den ganzen daraus resultierenden Problemen beendet habe. Wobei das Problem mit dem Namen für die zahme Elster – meine Elster! – relativ schnell gelöst wurde. Und zwar durch einen genialen Einfall meines Vaters. Also noch mal von vorn:

Willkommen in der neuen Wartezeit, dachte ich. Und dann: Verflixt, welchen Namen geb ich jetzt dieser Elster? Diesmal hatte ich laut gedacht. Meine Eltern schwiegen. Vor unserer Garage hielt Papa an, Mama und ich und die Elster stiegen aus (okay, die Elster stieg nicht aus, die saß auf meiner Schulter), Papa fuhr das Auto in die Garage, stieg aus, macht das Tor zu und sagte, nachdem das Tor schön geknallt hatte:
– Finanzamt. Wir nennen die Elster natürlich Finanzamt.
Mama lachte und schüttelte den Kopf, als ich sie fragte, wieso Papa die Elster so nennen wollte:
– Das soll er dir mal schön selbst erklären.
Während wir zu unserem Reihenendhaus gingen, fasste Papa sich erstaunlich kurz:
– Ist doch klar, weil beide diebisch sind.
Das mochte Mama so nicht stehen lassen.
– Kind, sagte sie, dein Vater redet mal wieder Quatsch. Elster steht für Elektronische Steuererklärung. Das heißt, mit Elster können die Menschen in Deutschland ihr Steuergedöns fürs Finanzamt im Internet machen, also online, ohne Papier. Das ist praktisch.
Inzwischen waren wir vor der Haustür angekommen. Mein Vater schaute meine Mutter mit einem Gesichtsausdruck zwischen extrem beeindruckt und fassungslos an:
– Also manchmal erstaunst du mich wirklich, Frau.
Dann gingen wir rein.

In den folgenden Tagen waren die kleinen Mönche damit beschäftigt, sich auf unserem Speicher häuslich, also mönchisch, einzurichten. Dazu schickten sie zuerst die Elster los, um ihren Freund, den großen Hund, zu bitten, ihre Einrichtungsgegenstände und Habseligkeiten zu bringen. Ein echter Umzugshund, dachte ich. Ein paar Mal pendelte der Hund zwischen Straßenbahndepot und Reihenendhaus hin und her, dann war der Umzug erledigt. Da dies alles nachts geschah, bekamen wir davon nichts mit. Wir schliefen alle drei – Mama, Papa und ich – ein paar Nächte hintereinander tief und fest. Ungewöhnlich tief und fest, wenn ich’s mir recht überlege.
Eines Samstagmorgens dann, als wir gerade frühstückten, fanden wir uns plötzlich alle drei samt Tisch und Stühlen in einer großen Glitzerglocke wieder.
– Fertig! riefen die kleinen Mönche. Alle fünf hatten sich zwischen Tellern, Tassen, Marmeladen- und Honiggläsern versammelt und mit ihrem Zauberglitzer die Glitzerglocke geformt, damit wir die kleinen Kerle besser sehen und wir gut miteinander sprechen konnten.
– Wie, fertig? fragte Mama.
– Wir sind, verehrte Mutter der Karoline, mit dem Umzug fertig, erklärte Meister Alhasa.
– Klasse, rief ich, kann ich mal gucken kommen, wie das bei euch aussieht?
– Liebe Freundin Karoline, sagte der Abt, das möchten wir leider nicht. Vergiss nicht, dass alles sehr, sehr klein ist.
– Und sehr, sehr zerbrechlich, fügte Ilhasa hinzu.
– Und wenn ich mal was vom Speicher brauche?, frage Mama, schließlich habe ich da einiges gelagert.
– Ach, weißt du, ehrenwerte Karolinenmutter, sagte Ulhasa, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, du wirst gar nicht wissen, dass…
– Ulhasa, was redest du?, fiel ihm der Abt ins Wort, natürlich weiß die verehrungswürdige Mutter der Karoline, dass wir da sind. Wir alle, die wir die Elsterngeschichte bewältigt haben, sind jetzt Teil eines exklusiven Geheimbundes.
Alhasa wandte sich an uns drei:
– Ihr werdet es nur nicht merken.
– Wissen. Merken. Kann ich jetzt mal in Ruhe weiter frühstücken?, grummelte Papa.
– Ooooh, frühstücken, seufzte Olhasa, was für eine wunderbare, geradezu transzendentale Idee.
– Ich denke, wir gehen jetzt mal besser, sagte Alhasa und schnippte mit seinen Fingern die Glitzerkugel weg. Dann verschwanden unter fünffachem Nicken und Aufwiedersehenwinken die kleinen Mönche aus unserem Gesichtsfeld.

Der Rest des Samstags verlief ohne erwähnenswerte Ereignisse. Am Abend war ich ungewöhnlich aufgedreht. Ans Schlafen kein Gedanke. Ich hatte ja auch in den vorangegangenen Nächten lange und tief genug geschlafen. Mein Eltern schüttelten nur den Kopf, murmelten irgendwas mit „Geht jetzt die Pubertät schon los beim Kind?“ und gingen nach einer Doku auf Arte ins Bett. Ich lag in meinem Zimmer. Und lag dort lange wach. Irgendwann, es war kurz nach Mitternacht, schaute ich nach meinem Gang aufs Klo aus dem Fenster. Ein großer Schatten huschte durch den Garten, sprang über den Jägerzaun der Nachbarn und verschwand. Es war der große Hund der kleinen Mönche. Ob die noch immer beim Umzug waren? Oder machten sie schon ihre erste Erkundungsrunde in ihrem neuen Revier? Achselzuckend legte ich mich wieder ins Bett und schlief endlich ein.

Am nächsten Sonntagmorgen beim Frühstück fragte ich meine Eltern, wann wir denn mal Fred Fortein besuchen, um ihm zu erzählen, wie gut es den kleinen Mönchen geht bei uns.
– Fred Fortein? Kenn ich nicht. Sagte Papa.
– Was für Mönche? Fragte Mama.
– Wieso kennt ihr die nicht? Die wohnen doch bei uns. Und Fred ist unser Freund und hat uns geholfen, die kleinen Mönche vor den Elstern zu retten und die Elstern wieder gesund zu machen und…
– Kind, sagte Mama streng, jetzt ist es gut.
– Liest du gerade so was wie ’nen neuen Harry Potter?, fragte Papa. Und fügte hinzu: Erzähl so einen Kram bloß nicht deinen neuen Freundinnen in der Nachbarschaft, und schon gar nicht in deiner neuen Schule.
– Okay, okay, ist ja schon gut. Hab nur Spaß gemacht.
– Komischer Spaß, sagte Mama.
Ich sagte dann vorsichtshalber erst mal gar nichts mehr. Denn in mir keimte ein böser Verdacht. Ein ziemlich böser.

Irgendwann am Nachmittag fragte ich meine Eltern, ob ich mich in den nächsten Tagen mal nachmittags mit meiner Freundin Marie in Düsseldorf treffen dürfte. Ich hatte ja meine Monatskarte, mit der kam ich ziemlich weit mit dem ÖPNV.
– Wir wollen in den krassen Laden in der Altstadt, wo es diese tollen Klamotten gibt.
Meine Eltern blickten alarmiert.
– Nur zum Gucken. Und dann lecker Eis oder Pommes oder so.
– Gut, sagte Papa, aber zum Abendessen bist du zu Hause.

Natürlich traf ich mich dann nicht mit Marie. Ich hatte einen ganz anderen Plan: Ich wollte zum Straßenbahndepot, zu Fred Fortein. Auf dem Weg zur Bushaltestelle rief ich aus einer Telefonzelle Marie an.
– Ich muss was erledigen, aber meine Eltern dürfen nichts wissen, deshalb hab ich ihnen gesagt, ich treffe mich mit dir. Nur damit du Bescheid weißt. Und bitte keine weiteren Fragen.
Kurzer Moment der Stille am anderen Ende. Dann:
– Okay.
Marie ist wirklich eine prima Freundin.

Eine gute Stunde später: Ausstieg an der Endstation, rüber zum Depot. Da war noch immer diese Art Pförtnerhaus. Und drinnen saß, leider auch noch immer, der Kotzbrocken in Uniform. Als er mich sah, öffnete er im großen Pförtnerhausfenster ein kleines Sprechfenster:
– Na, kleines Frollein (er sagte wirklich „Frollein“), wo wollen wir denn hin?
– Guten Tag, sagte ich betont freundlich, erinnern Sie sich noch an mich? Ich bin eine Freundin von Fred Fortein.
– Der Karnevalsspinner? Den kenn ich, aber dich, kleines Frollein, seh ich heut zum ersten Mal. Und du willst eine Freundin von dem sein? Glaub ich nicht.
Also auch bei dem null Erinnerung.
– Aber da kommt der Fortein ja grad, sagte der Pförtner, kannste ihn ja selber fragen, ob du seine Freundin bist, hahaha.
Tatsächlich kam Fred Fortein gerade über den riesigen Depothof geschlendert.
– Hallo Fred, wie geht’s? Schönen Gruß von den kleinen Freunden, du weißt schon.
Ein freundlich lächelnder Fred Fortein sah mich verdutzt und fragend an:
– Ja, guten Tag auch, kennen wir uns?
Oh nein, dachte ich, auch Fred erinnert sich nicht. Langsam wurde aus meinem bösen Verdacht Gewissheit. Aber vorher wagte ich noch einen letzten Versuch:
– Hat die Stadt schon etwas gegen das giftige Hühnerfutter hinten im Depot unternommen? Das, was die Elstern immer gefressen haben?
– Woher weiß das kleine Frollein denn von solchen städtischen Angelegenheiten, das sollte doch absolut geheim bleiben, fauchte der Pförtner Fred an. (Ich ging vorsichtig ein paar Schritte rückwärts.) Fred zuckte nur mit den Schultern:
– Weiß ich doch nicht. Was sind das denn für Angelegenheiten, dass die so geheim und wichtig sind?
Ich bewegte mich langsam auf die Ecke des Pförtnerhäuschens zu, hinter der die Straße lag. Zum Glück waren die beiden gerade sehr mit sich selbst beschäftigt.
– Keine Ahnung, schnauzte der Pförtner und machte ein ziemlich dummes Gesicht. Ich bekam vor ein paar Tagen Anweisungen, dass da was passiert hinten im Depot und dass ich nicht drüber reden soll. Dabei weiß ich doch gar nicht, was da abgeht. Aber wieso weiß dann das kleine Frollein Bescheid?
– Ja, sagte Fred, wieso… Er und der Pförtner drehten sich nach mir um – aber da war ich schon schwupp! um die Ecke. Die Sache war mir nämlich irgendwie zu heiß geworden. Zum Glück fuhr gerade eine Straßenbahn los Richtung Stadtmitte. Bevor der Pförtner oder Fred auch nur daran denken konnten, mir hinterher zu laufen, war ich auf den letzten Drücker rein in die Bahn und weg.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass da niemand der Bahn hinterher lief, setzte ich mich und schnaufte erst einmal tief durch. Dann schnaufte ich weiter – aber vor Wut. Von wegen Geheimbund! Die kleinen Mönche hatten mich hintergangen. Hatten in einer einzigen Nacht-und-Nebel-Aktion sowohl Fred Fortein und den Pförtner als auch Mama und Papa ihren Glitzerstaub des Vergessens in die Nasen gepustet. Während die schliefen. Das fand ich so was von gemein! Jetzt war ich die einzige, die von den kleinen Mönchen wusste. Okay, Finanzamt, meine Elster, wusste es auch. Aber wie sollte ich mit der reden? Ich fühlte mich irgendwie allein gelassen. Und ich hatte verschärften Gesprächsbedarf.

Beim Abendessen, zu dem ich pünktlich wieder zu Hause war, stellten meine Eltern die üblichen Fragen nach Marie, was wir so gemacht hätten und so weiter. Ich gab die üblichen Antworten, mit denen man Eltern beruhigen kann. Nach dem Abendessen murmelte ich was von „Puh, Stadt macht müde, gute Nacht“ und verschwand in meinem Zimmer. Dort wartete ich, dass es dunkel wurde und meine Eltern zu Bett gegangen waren. Wie gesagt hatte ich verschärften Gesprächsbedarf, und ich war mir ziemlich sicher, die kleinen Mönche wussten das.

Es war kurz nach Mitternacht, als es vertraut zwitscherte. Ich hatte kurz vorher erst das Licht aus- und meine Tür einen kleinen Spalt aufgemacht, war also noch wach. Am Fußende meines Bettes saßen die fünf kleinen Mönche wie immer aufgereiht nebeneinander auf dem Holzrahmen und schauten mich lächelnd an. Dann schwebten sie alle gleichzeitig auf die Bettdecke, genau unter meine Nase. Dann schnipps! die Glocke aus Zauberglitzer, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten, ohne dass außerhalb der Glitzerglocke davon etwas zu hören war. Und das war auch dringend nötig.

– Sagt mal, ihr kleinen Racker, schimpfte ich los, was fällt euch eigentlich ein, meinen Eltern, Fred und sogar dem Pförtner mit eurem Glitzerstaub die ganze Erinnerung an alles wegzunehmen? Einfach alles so löschen, das geht doch gar nicht. Und wieso der Pförtner? Der hatte doch eh keine Ahnung von nix und…
– Da, unterbrach mich der Abt, da war Elhasa, den ich mit der ganzen Mission beauftragt hatte, in der Tat ein wenig zu eifrig. Aber irgendwie verändert hat es den Pförtner nicht.
Stimmt, dachte ich, der ist immer noch so blöd.
– Also, liebe Karoline, fuhr der weise Abt fort, bitte beruhige dich. Wir können deine Empörung gut verstehen, jedoch, das Risiko war uns zu groß, dass sich irgendjemand mal verplappert. Bedenke bitte, mit wie vielen Menschen deine Mutter und dein Vater Kontakt haben. Und Fred Fortein erstmal.
– Und außerdem, fügte der gebildete Ilhasa hinzu, außerdem sind sie ja nicht komplett gelöscht. Das Wissen ist nicht weg, es ist nur woanders. Und wenn es nötig ist, dann kommt das Wissen zu deinen Eltern und zu Fred Fortein zurück.
– Okay, Jungs, rief ich, eure Gründe akzeptiere ich schon. Aber dass ich jetzt die einzige bin, die Bescheid weiß, dass finde ich ziemlich doof. Das macht mich irgendwie einsam, denn außer mit euch kann ich mit keinem Menschen über euch und das ganze Drumherum reden.
Sprach’s und machte mein Karoline-ganz-traurig-und-allein-Gesicht. Ob es dann dessen Wirkung war oder ob die Mönche alles schon vorher geplant hatten, weiß ich nicht, jedenfalls flüsterte Alhasa dem jungen Ulhasa etwas ins Ohr, worauf dieser durch eine plötzliche Öffnung die Glitzerglocke verließ und durch den Spalt meiner Zimmertür verschwand.
– Wo geht Ulhasa denn hin?, fragte ich.
– Geduld, liebe Freundin Karoline, antwortete Alhasa, er ist gleich wieder da.
Und da öffnete sich auch schon wieder kurz die Glitzerglocke, es kam was herein gehuscht, das ging alles so schnell, ich kam gar nicht mehr mit, doch dann, doch dann, dann sah ich neben Ulhasa – eine Elster. Aber nicht irgendeine Elster. Nein, es war meine Elster, es war Finanzamt. In meine erste Begeisterung mischte sich langsam Ratlosigkeit:
– Aha, und jetzt soll ich mich wohl mit Finanzamt unterhalten, auf Elsterisch, rätsch rätsch oder was?
– Karoline, hörte ich da eine angenehme, weibliche Stimme, Karoline, entspann dich.
– Wer war das?, rief ich. Mönche, habt ihr gesprochen?
Ich sah mir jeden von ihnen von ganz nah und ganz genau an, mit dem Karoline-super-böse-Blick.
– Wer von euch hat das gerade gesagt?
Die fünf kleinen Mönche grinsten mich an und schwiegen. Dann legten sie alle eine Hand vor den Mund.
– Die waren das nicht, Karoline, ich bin es, die mit dir spricht.
Ich wirbelte herum und starrte nun die Elster an:
– Was hast du da gerade gesagt?
Die Elster sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. Und wieder hörte ich diese tolle Stimme, ohne dass die Elster ihren Schnabel bewegte:
– Ich sagte, du kannst dich entspannen, tönte es erneut sanft in meinen Ohren, oder genauer: in meinem Kopf. Wir werden ab jetzt viel miteinander sprechen.
– Ja, aber, ich schaute verwirrt von der Elster zu den grinsenden Mönchen und zurück, ich hör die Elster sprechen, aber ich seh sie nicht sprechen, was… wie…
– Telepathie, Karoline, sagte Alhasa. Bei Bedarf können wir dafür sorgen, dass sich Lebewesen gedanklich so austauschen, als würden sie miteinander sprechen.
– Das geht aber nicht bei allen Lebewesen, ergänzte Ilhasa.
– Manche sind einfach zu doof dazu, fügte Ulhasa hinzu, was ihm einen strafenden Blick seines Abtes einbrachte. Anschließend ermahnte mich Alhasa eindringlich, nur dann mit Finanzamt zusprechen, wenn wir allein waren bzw. mit den kleinen Mönchen zusammen.
– Du musst selbst auch nicht sprechen, es reicht, wenn du denkst. Aber das ist nicht so einfach, das musst du üben, also sprich erst mal ruhig ganz normal mit ihr, nur, pass auf, dass es niemand mitkriegt. Das gilt übrigens ab jetzt auch für deine Unterhaltungen mit uns.
Ich nickte und versuchte, meine turbulenten Gedanken zu ordnen.
– Ooooh, aber wiesooo heißt die Elster jetzt Finanzamt?, grätschte mir plötzlich Olhasa dazwischen.
Der Rest der Nacht verging unter langen Erklärungen durch Ilhasa, unterbrochen von vielen klugen (und auch ein paar nicht so klugen) Fragen und endete in einem langen, gemeinsamen Erinnern an die bestandenen Abenteuer. Dann graute der Morgen und wir gingen alle ins Bett auf eine dringend benötigte Mütze Schlaf.