entsetzen sehr kurz
gedenken sehr betroffen
vergessen sehr gern

(Anlass: 80 Jahre Befreiung KZ Auschwitz)

 

 

 

Don’t read my diary when I’m gone. OK, I’m going to work now. When you wake up this morning, please read my diary. Look through my things, and figure me out. (Kurt Cobain: Journals)
Lust auf regelmäßige Updates oder Infos? Dann bitte schriftliche Bestätigung per Mail an ke@kurteimers.de

 

 

Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Produktes jenseits der eigenen Restlebenszeiterwartung liegt, wird es noch einmal ganz anders richtig spannend.

Influenzarinnen leiden besonders hart unter der Grippewelle.

Kulinarische Spezialität in der schwäbischen Imbissstube: Nägel mit Knöpfle.

Ein luftleerer Reifen ist letztendlich auch nur eine Plattitüde. In wechselnder Hohnart.

 

 

Neue Rubik – wieder für genau 1 Jahr:

69 oder: Einerseits. Andererseits.

Einerseits kann man sich furchtbar drüber aufregen.
Andererseits aber auch.

 

Einerseits: America only.

Andererseits: America lonely.

 

 

KurtsWellen

Boletus Humanus Politicus (KEIN Wahl-o-Mat!)

Sauerländische Wutmorchel. (Bläht sich auf bei Kontakt, nach Verzehr ggf. schwer verdaulich.)

Geselliges Rotstiefelchen. (Für fast alle Eintöpfe und Ragouts. Auch als Beilage möglich.)

Blasiger Grünling. (Zum Kurzbraten. Nicht wieder aufwärmen!)

Gelber Lutschling. (Extrem gefährdete Art. Verzehr kann Sodbrennen bewirken.)

Bayerischer Schaumstrunz. (Kommt nur südlich des Mains vor, meist in der Nähe von Bierzelten.)

Rotes Trauerschwämmchem. (Früher weit verbreitet, jetzt nur noch vereinzelt vorkommend.)

Blaubraune Schmutzschmaddel. (Hoch giftig. Vorsicht: Brennt auf der Haut!)

Rotbraune Schickschlutze. (Ungenießbar. Wird oft mit der Blaubraunen Schmutzschmaddel verwechselt.)

 

 

was sind schon jahre
fürze in der ewigkeit
von winden verweht

 

es bleibt die frage
auf sämtliche antworten
für immer offen

 

 

 

 

Kopfhengst – Wunderlichkeiten aus Blödland.
Akte 2

Kopfhengst liegt im Bett. Kopfhengst schläft. Tief und fest. Plötzlich ein Krachen, ein Bollern, ein Knallen und Pengen. Kopfhengst fährt hoch. Wirbelt den Kopf herum Richtung Fenster. Wirbelt eine Umdrehung zu viel. Dreht langsam zurück. Rastet ein. Stellt den Blick scharf durchs Fenster. Grelle, bunte Lichter am nachtschwarzen Himmel. Ein Donnergrollen und Wetterleuchten am Horizont. Kopfhengst denkt: Die Front kommt näher. Kopfhengst öffnet das Fenster, sieht hinunter auf die Straße.
– Hallo Kopfhengst, frohes neues Jahr!
Kopfhengst versteht „Frohes neues Ja“. Schreit zurück:
– Frohes neues Nein, ihr Blödmänner!
Kopfhengst geht wieder schlafen. Kopfhengst hasst Silvester. Silvester, sagt Kopfhengst immer, wenn er in der „Erholung“ seine Eierlikörsuppe löffelt, Silvester ist wie Heiligabend, nur lauter. Warum, fragt Kopfhengst dann weiter, warum nicht auf Silvester, Punkt Mitternacht, alle Weihnachtsbäume verbrennen? Ist nicht so laut, und man ist die Scheißdinger los, statt mit ihnen ein paar Tage später die Straßen zu verstopfen. Kopfhengst hasst Heiligabend. Und Advent. Advent, sagt Kopfhengst, Advent ist die Zeit, in der Blödmänner Massaker machen auf Weihnachtsmärkten, mit Autos, LKWs, Messern, Äxten, Macheten. Kopfhengst hasst Weihnachtsmärkte. Nicht nur wegen der Blödmänner, die da rummassakrieren.
Kopfhengst wacht auf, schleppt sich zum Kühlschrank. Erster Tag im neuen Jahr. Kopfhengst denkt: Da gönn ich mir was. Er öffnet die Tür, greift in das fast leere grelle Licht und bekommt eine Dose zu fassen. Die Nacht war hart, denkt Kopfhengst, da werf ich am besten erst mal ein paar Popel ein. Kopfhengst lagert seine Popel – Marke Eigennase – immer im Kühlschrank. Da bleiben sie frisch, da werden sie hart. So lassen sie sich leicht einwerfen, morgens, vor dem Frühstück, ohne Getränk. Popel, sagt Kopfhengst immer, Popel sind die Globuli der Nase. Mit körpereigenen Abwehrstoffen gegen alles und zur Stärkung des Immunsystems. Kopfhengst war noch nie krank, seit er die Eigenpopelbehandlung praktiziert. Vor vielen, vielen Jahren hatte Kopfhengst ein Buch über die Wunderwirkungen von Urin, also eigenem, gelesen. Darauf hatte er sich ein paar Mal seinen eigenen Urin gespritzt, da wurde ihm aber schnell komisch von, und sein Arzt sagte ihm, dass er das verwechselt habe mit Eigenblut. Aber da war es schon zu spät: Kopfhengst war der geworden, der er seitdem ist: Kopfhengst. Mit allen Nebenwirkungen. Auch den positiven. So lässt heute die Wirtin in der „Erholung“, wenn sie ihm was richtig Gutes tun will, ein paar von ihren Popeln in Kopfhengsts Eierlikörsuppe flutschen. Frisch aus der Nase, saftig-schleimig. Besser als jede Auster, sagt Kopfhengst. Aber, sagt er auch, nichts für jeden Tag. Ist halt was Besonderes. Kopfhengst will ein Buch schreiben. „Nasale Kulinarik mit allen Vor- und Nachspeisen“ soll es heißen. Zurzeit jedoch macht er eher Gedichte, Lüüürik nennt er das. Kopfhengst erhebt sich gern in der „Erholung“ am Stammtisch und rezitiert lauthals. Letztens das hier:

ganz schön fies dunkel
spricht die furunkel
hell macht’s nicht besser
ruft der mitesser
und akne und pickel
sind was für karnickel
schließlich sagt die warze
bevor ich hier groß quarze
ist jetzt erst mal schluss
mit dem gemunkel

Betretenes Schweigen. Nur das Tropfen des Zapfhahns zerriss die dröhnende Stille. „Ach, Kopfhengst!“, seufzte leise die Wirtin, „schreib doch lieber dein Buch.“

Vielleicht nächsten Monat.

 

 

Literatur für Fortgeschrittene oder: Mann sollte niemals nach Romanien fahrn.

„Mann, Mann, Mann.“ Der Grenzbeamte schaute von den drei Pässen auf die drei Männer, die da vor ihm standen. „Thomas. Heinrich. Klaus. Sind Sie Brüder?“ Dreifaches Kopfschütteln. „Verwandt?“ Dreifaches Nicken. „Wir stehen für Weltliteratur“, sprach der eine. „Wichtige Werke“, sprach der zweite. „Bücher, halt“, sprach der dritte. „Is ja grass“, sagte der Grenzbeamte, „und was wollen Sie drei bei uns in Romanien?“ – „Wir planen eine Rundreise, es soll ja so einiges zu erlesen geben in Ihrem schönen Land.“ Geschmeichelt lächelte der Grenzbeamte. „Da haben Sie allerdings Recht“, sprach’s und knallte seinen Stempel in die drei Pässe. Dann waren die Manns in Romanien.

Als Erstes reisten sie in die prechtige Stadt Bölln. Dort, im Stadtteil Schätzingen, wurden sie von einem ganzen Schwarm von Verehrerinnen erwartet. „Oh Gott, mir wird ganz andersch,“ flüsterte Heinrich. „Dann schnell weg von hier,“ sprach Klaus, „und ab nach Heine, in die verbotene Stadt.“ Doch dort wurden die drei Brüder auch nicht alt. Statt Wintermärchen zu viele menschliche Komödien, zu viele Fremde, vor allem Japaner. „Komme mir vor wie Kafka am Strand von Tokio“, maulte Thomas, „lasst uns nicht noch mehr Zeit verlieren, die wir irgendwann suchen müssen.“ „Proust Mahlzeit dann!“, riefen Heinrich und Klaus.

Also mieteten sie sich ein Auto, einen alten Peugeot Zola, und zuckelten gemütlich über den Hemingway nach Norden, zu irgendwelchen Inseln unter irgendwelchen Winden. „Herrlich,“ sagte Heinrich, „endlich Langsamkeit entdecken“. Jedes Mal, wenn die Stunde schlug, hielten sie auf einem Rothplatz oder in einer Niemandsbucht. Manchmal verweilten sie auch in einem der Feinschmeckerrestaurants der Kette „Chez Paul“ und gönnten sich die eine oder andere Auster. Dazu teilten sich Thomas und Heinrich brüderlich eine Flasche allerfeinsten weißen Château Briand. Klaus trank ein Fläschchen Apollinairis. Er musste ja fahren. Das mit den Austern hatten sie übrigens mit der Methode „Siri, wo gibt’s …?“ herausgefunden.

Kein Wunder also, dass sie erst spät am Nachmittag die Küste erreichten. Sie warteten auf Flut und Fähre (die letzte!) und setzten über auf die Insel Hansum. Sie nahmen in einem Hotel drei Zimmer mit Aussicht auf den Hafen. Klaus hatte es ausgesucht, und Heinrich taufte es daher gleich auf den Namen „Zum Klausner“. „Ich freu mich auf ein paar stille Tage“, sagte Thomas. „Freu dich nicht zu früh, das mit den stillen Tagen ist ein Clichy“, warnte Klaus. Und er sollte Recht behalten. Sie kamen in Hansum auf keinen grünen Zweig, schon gar nicht nach Besichtigung der Hauptstadt Knausgard (übrigens keine Partnerstadt von Stuttgart, wie immer wieder behauptet wird). „Mann, sind die hier depressiv,“ stellte Klaus fest. „Lasst uns zurück in den Süden ziehen,“ schlug Heinrich vor. „Erst nach Osten!“, rief Thomas, „mich zieht es zu den Klassikern“. – „Ach du meine Goethe,“ seufzte Klaus, „jetzt geht DAS wieder los. Papa schillert vor Begeisterung in allen Farben.“ – „Ach lass ihn doch“, meinte Heinrich, „ist immer noch besser, als wenn er in Venedig stundenlang am Strand rumhängt und den Tonios und Felixens schöne Augen macht.“ – „Schöne Augen? Wo?“ – „Geschenkt, Bruderherz, die Fähre wartet, auf geht’s, zurück zum Festland.“

Während die Fähre gemächlich übers Wattenmeer tuckerte, sang Thomas mit Inbrunst: „Musil I denn, musil I denn…“. Eine Frau näherte sich. „Au Backe, flüsterte Heinrich, „die kenne ich, das ist die Sarah, mit der ist nicht gut Kirschen essen.“ Die kirschige Sarah indes lächelte Klaus lieb an und fragte: „Magst du zu dieser schönen Melodie mit mir eine Runde Walser tanzen?“ Klaus wurde knallrot und stammelte: „Äh, also, ja, ich warte hier gerade auf Christa…“ – „Christa, dieser Wolf im Schafspelz!“, Sarahs Stimmung schlug urplötzlich um. Ganz so wie draußen das Wetter. Schwere See, hohe Wellen, Schaumkronen überall. Die Fähre stampfte und schlingerte und tanzte ihrerseits wild auf den entfesselten Wogen. „Brecht das jetzt mal lieber nicht so übers Knie!“, rief Heinrich, „schon gar nicht bei so einem Storm.“
Inzwischen hatte die Fähre noch zitternd, aber sicher am Shakespier angelegt. „Seht nur, wer da auf uns wartet!“, rief Thomas. „Anna Bolika mit den Brüdern Kalaschnikow!“ Sarah, die ebenfalls hinübersah, schüttelte sich: „Pfui Spinne, die Bolika hat wieder ihre ekligen Köter dabei. Schuld und Sühne hat sie die getauft, typisch.“ Aber da hatten Anna und ihre Brüder schon Wodka und Gläser herbei gezaubert, und schon bald fielen sich alle Anwesenden abwechselnd in die Arme, was von Schuld und Sühne mit frohem Gebelle und Schwanzwedeln bedacht wurde. „Ich habe sie übrigens umgetauft“, verkündete Anna Bolika,“sie heißen jetzt Krieg und Frieden, klingt doch gleich viel remarquabler, oder?“, „Apropos, was gibt es Neues im Westen?“, fragte Klaus, „sind Emil und seine Detektive noch aktiv?“– „Oh ja, sprach einer der Brüder, „und wie. Gerade sind sie dem berüchtigten Steppenwolf auf die Schliche gekommen. Aber am besten fragt den Herrmann, falls der sich mal wieder blicken lässt.“ – Wo isser denn?“ – „Der kleistert gerade in Eichendorf an seiner aktuellen Novalis.“

In diesem Augenblick spritzte hinter ihnen plötzlich eine riesige Fontane aus einer Art Brunnen vor dem Tore. „Nichts wie weg!“ Alle machten nur noch, was sie wollten und vor allem viel Lärm um nichts, und plötzlich lag der Schakespier leer und verlassen da. Die drei Manns hatten in der Zwischenzeit zu ihrem alten Peugeot Zola zurückgefunden, den sie unweit der Anlegestelle der Fähre geparkt hatten. Hinter einem Wischerblatt ein Zettel: „Hallo Männer, wir haben vergebens auf euch gewartet, sind dann schon mal on the road. Wenn ihr uns noch treffen wollt, dann fahrt einfach die Straße der Ölsardinen entlang in irgendeine Richtung und nehmt irgendwann die letzte Ausfahrt nach Brooklyn. Wir warten auf euch an der Endstation Sehnsucht.“ Unterzeichnet mit Jack, John, Hubert und Tennessee.

„Lasst uns einen auf Godot machen,“ sprach Klaus und startete den Motor, „meinetwegen können die ruhig ewig warten.“ Ein paar Stunden und viele verpasste letzte Ausfahrten später bremste Klaus jäh vor einem Ortseingangsschild: Stendhal stand da drauf, in roten und schwarzen Buchstaben. „Ich hab uns hier in der ehemaligen Kartause, die jetzt ein Hotel ist, drei Zimmer reserviert.“ Thomas und Heinrich staunten. Dieser Junge! „Hier findet nämlich zurzeit der Große Romaniensische Literaturkongress statt. Mit reichlich literarischer Prominenz.“ Thomas und Heinrich staunten. Dieser Junge!

Eine Zeit später hatten sie eingecheckt und saßen entspannt in der Hotelbar, um sie herum jede Menge leerer Stühle, und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Und es kam…“Das ist doch Max!“ Gleich wurde es stiller. Denn richtig, Max, frisch geduscht, kam just in dem Augenblick in die Bar stolziert, ein großes Pflaster im Gesicht. Er hatte sich beim Rasieren eine böse Rilke in die Backe gekafkat. „Wie döblin ist das denn?“, dachte Thomas, fragte aber stattdessen: „Wo hast du Astrid gelassen?“ – „ Die macht vacances auf eine schwedische Insöl und liest dickö, enorme grüselische Kriminalromanö mit die Angst einflößende Titöl mit eine mot, äh, Wort.“ Eine streng dreinblickenden Frau mit dunkelhaarigem, etwas trutschigem Dutt hatte sich unbemerkt zu ihnen gesellt. Sie sprach mit starkem französischem Akzent. „Nun mal ganz sartre, Simone,“ wies Thomas sie zurecht, „mach hier jetzt mal nicht den Camuskazeflieger, bevorvoir du keine Fakten kennst.“ – „Genau, mischte sich Sarah ein, die immer noch mit dabei war, weil sie von Klaus nicht lassen wollte, „Astrid macht sich nämlich mit Siegfried einen schönen Lenz.“ Leicht höhnisch fügte sie hinzu: „Und zwar nicht auf einer Insel, sondern auf Schloss Gripsholm, wo die ganzen Neunmalklugen Urlaub machen.“ Tja, Sarah und Astrid war immer schon wie Katz und Maus.

Da sich jetzt alle Anwesenden irgendwie angesprochen fühlten, entstand eine nervöse Unruhe. Aber nicht lange. Ein gewisser Hugo, der in Wirklichkeit Victor hieß, betrat die Bar. „Seid gegrüßt, ihr Miserablen!“ rief er. Respektvolle Stille. Simone sank auf die Knie: „Der Meister, der Meister!“ Hinter Hugo erschien ein Typ in Uniform. „Hallo Gerhart, hast du dich wieder als Hauptmann verkleidet?“ Anna Bolika wollte auch mal was sagen. „Schweig, du alte Mörike,“ herrschte Gerhart sie an, „sonst schick ich dich aufs weite Feld zum Steine rollen.“ Worauf die Brüder Kalaschnikow drohend ihre Gewehre durchluden. „Beruhigt euch, ihr Lieben“, mahnte Heinrich, „wir sind weder Richter noch Henker. Denkt an die frohe Kundera von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins.“ –„Das ist eine echt unendliche Geschichte“, rief jemand. Aber wer? Nun, Hermann war’s, der alte Hesse, der, zurück aus Eichendorf, die ganze Zeit hinter der Theke mit Glasperlen gespielt hatte, und sich nun wieder blicken ließ. „Und, was sagen uns die Perlen?“, fragte Thomas. „Sie sagen,“ antwortete Hesse, „sie sagen: Verlasst diesen Ort des wohlfeilen Lasters und begebt euch alle in den Literazoo.“ Sprach’s und verteilte an alle Exemplare von „Die Farm der Tiere“. Aufgedreht verließ die inzwischen beachtlich große Gruppe Bar und Hotel und begab sich in den nahegelegenden Literazoo. Unterwegs stießen noch weitere Menschen des Wortes hinzu – viele sprachen in Reimen –, die im restlichen Teil dieser Geschichte nicht noch mal auftauchen werden.

Am Eingang des Zoos ein Schild: Eintritt nur für Literaten, die bereit sind, alle Hoffnung fahren zu lassen! Drinnen erwartete sie ein überraschendes Bestiarium in verschiedenen Gehegen, Terrarien und Aquarien: ein Rhinozeros, ein Butt, eine Rättin, ein ertrunkener Schimmel, ein Krebs, ein Steinbock, ein weißer Wal. Außerdem, in einer riesigen Voliere, mehrere gesattelte Drachen, einer davon ganz weiß. „Polardrache“ stand auf einem Schild. Vor der Voliere stand ein kleines Mädchen. „Was für ein süßes Kind,“ flüsterte eine gewisse Juli, die sich Klaus auf Zehspitzen genähert hatte – sehr zum Verdruss von Sarah. „Ja, aber es riecht sehr stark nach Parfum.“

Derweil war viel Zeit vergangen und plötzlich fürchteten alle, das Endspiel habe schon begonnen. Und tatsächlich erklang vom Eingang des Literazoos ein unter kundigen Leuten als Läuten bekanntes Geräusch. „Sie schließen, sie schließen!“ Alles rief und lief durcheinander. Am Eingang angekommen, blieb ihnen nur noch die Feststellung: „Zu! Wir sind ab jetzt eine geschlossene Gesellschaft.“ Das wollten sich die drei Manns nicht bieten lassen. „Hallo!“, riefen sie durch das Gitter des Tores, „wir sind es, die Manns, wir sind literarische Touristen und haben ein Visum, mit dem dürfen wir sogar auf die Schatzinsel.“ Und tatsächlich erschien ein romanischer Beamter. Es war derselbe, der die drei an der Grenze eingelassen hatte. „Heda, guter Mann“, rief Thomas, „erkennen Sie uns? Lassen Sie uns raus, unser Bummel durch Romanien ist noch lange nicht vorbei.“ – „Der ist leider zu Ende, so wahr ich Michael heiße,“ sprach der Beamte. „Ja, aber die Stempel in unseren Pässen gewähren uns freies Reisen, sogar bis ans Ende der Nacht.“ – „Na, dann schauen Sie mal genauer hin.“ Gesagt, getan. Die drei Manns erbleichten. Der runde Schriftzug jedes Stempels lautete: ZUR SOFORTIGEN DAUERHAFTEN EINWEISUNG IN DEN LITERAZOO VON ROMANIEN. GEZEICHNET A. BREHM, ZOODIREKTOR. „Zugegeben, dozierte der Beamte kaltblütig, „die Schrift ist recht klein, aber sonst hätte der Text nicht drauf gepasst. Außerdem sind Ihre drei Pässe inzwischen auf dem Index. Und jetzt mal dante pede in die Käfige mit Ihnen allen. Für jeden und jede gibt es einen schönen Schlafbalsack Marke Bovary, Frühstück dann wie immer bei Tiffany – Schärrrrz! – und falls vor den Käfigen Leser auftauchen, dann werfen Sie bitte nicht mit Worthülsen nach ihnen. Und noch was: Ganz hinten in der Zoomauer ist ein Fenster, aus dem können Sie steigen, sobald Sie hundertjährig sind. Bis dahin gibt es ein umfassendes Seminarangebot zu spannenden Themen, u.a. über die Angst des Tormanns beim Elfmeter, die Vermessung der Welt oder wie man in 80 Tagen 20.000 Meilen unter dem Meer tauchen kann. Eine gewisse Lotte referiert über Werthers echte Leiden und warum bei Schnick-Schnack-Schnuck Stein eigentlich Faust ist. Sie können sich aber auch Ihren Dämonen stellen, nach dem Motto Bonjour Tristesse. Jedoch, wer Probleme macht oder gar Tagebuch schreibt, wird örtlich betäubt. Und jetzt Ruhe im Geisterhaus.“ Sprach’s und ging davon.

Kurze Zeit später in der Zelle, die sich Thomas, Heinrich und Klaus teilten. „Wisst ihr was,“ flüsterte Klaus, „ich glaube, der Beamte heißt gar nicht Michael.“ – „Aha, wie heißt er denn?“ – „Ich komm grad nicht drauf, irgendwas mit einem reichen Marcel oder so.“