Nur noch ein paar Scrolls… und die Reise beginnt!

 

Don’t read my diary when I’m gone. OK, I’m going to work now. When you wake up this morning, please read my diary. Look through my things, and figure me out. (Kurt Cobain: Journals)
Lust auf regelmäßige Updates oder Infos? Dann bitte schriftliche Bestätigung per Mail an ke@kurteimers.de

 

Mit zunehmendem Alter spielt sich das Leben immer öfter in Ächz-Zeit ab.

2023 – worst of:

Auch in diesem Sommer schien früh am Morgen noch die Sonne. Später brannte sie.

Wenn der sog. Westen so schlecht ist, wie viele sagen – warum wollen dann so viele gerade dort hin?

Seit dem 22. September 2023 wird im deutschen Fußball nicht mehr geflickt, sondern genagelt.

Deutsche! Kauft Rettungsringe. Im Meer der Asylanten geht es um euer nacktes Leben.

Advent: Alles Unterbelichtete leuchtet auf. Die Vorortstraßen: lauter bunte, blinkende Lasvegassen. Das Land gelegt in Lichterketten. Ach, wenn es doch nur das wäre…

Bayern München greift in die britische Asylantendebatte ein:

 

 

SO EIN KÄSE:

 

 

Neue Serie – für genau 1 Jahr:

Murmeleien eines bekennenden 68ers

Der sog. Westen ist Scheiße, schallt es immer öfter aus allen Ecken der Welt. Warum zum Teufel zieht es dann immer noch so viele in diesen scheiß Westen?

Neuester Trend unter Salon-Linken: Brioni-Anzug mit Gazastreifen.

 

 

Kein Frühstück bei Tiffany’s

morgens um zehn
an der supermarktkasse
legt ein am ganzen körper
bebender mann
sein frühstück aufs band:

flasche wodka
dose cola
schachtel zigaretten
alles vom billigsten

kassenbon?
kopfschütteln
die zitternde hand
lässt den schein mehr fallen
als dass sie ihn reicht

dann wankt er davon
immer noch zitternd
immer noch bebend

noch lebend

 

 

An die Meister des Krieges

dies geht an euch
meister des krieges
die ihr zu töten befiehlt

ich kann euch nicht sehen neben
den männern, den frauen, den kindern
die leiden, die schreien, die sterben

wo versteckt ihr euch?
hinter euren mikrofonen?
hinter euren interessen?
hinter euren profiten?
hinter eurer religion?
hinter eurer gier nach macht?

dies geht an euch
meister des krieges
seht die ruinen, die ihr schafft
auf allen seiten
und in allen seelen

schande über euch

 

 

 

Ein Reisebericht über ein gescheitertes Weihnachtspräsent.

Irgendwo in den unendlichen weiten jenes Pazifischen Ozeans, den man aus unerklärlichen Gründen auch den „stillen“ nennt, auf einer Insel namens Hawaii, gibt es ein Salz, das so lecker schmeckt, dass ich an einem Spätsommertag des Jahres 2023 beschloss, dorthin aufzubrechen, um es im Dezember als kleines Weihnachtspräsent einer erlesenen Handvoll wunderbarer Menschen zu überreichen. Falls Sie jetzt denken „Bisschen früh dafür“, kann ich Ihnen aus jammervoller Erfahrung nur sagen: Es ist für so etwas nie zu früh, aber oft zu spät.

Also bereitete ich eines Abends in meinem Büro in Düsseldorf-Oberkassel mein aufblasbares Faltboot vor und machte mich in der Dämmerung auf den Weg. Zunächst war ich recht faul und ließ mich einfach den Rhein hinunter treiben. In Holland kaufte ich mir eine große Portion Pommes mit Majo, an der ich bis in die Nordsee hinein zu knacken hatte. Zum Glück hatte ich auch einen Kasten Heineken und eine Flasche Bessen Genever gekauft, so dass ich mich gründlich therapieren konnte. Kurz vor Calais krempelte ich dann die Ärmel hoch und machte mich an die Überquerung des Atlantischen Ozeans. Doch dies war nicht so einfach, wie ich dachte.

Schon auf der Höhe von Cherbourg geriet ich in eine der berüchtigten Calvadosuntiefen, in die ich mit meinem Playmobil-Klappspaten große normannische Löcher schaufeln musste, um mein aufblasbares Faltboot wieder flott zu machen. Anschließend nahm ich erschöpft Kurs auf den Mont Saint-Michel, oder besser gesagt: Die aufkommende Flut trieb mich förmlich dorthin. Und das war ja auch mein Plan. Ich wollte mich von der Flut bis ans Ende der Bucht tragen lassen, dort ein Ründchen schlafen, um mich ein paar Stunden später von der Ebbe wieder aufs offene Meer schlürfen zu lassen. Wie jeder weiß, sind die Gezeiten am Mont Saint-Michel außergewöhnlich stark. Also machte ich mir meine ungeheuren physikalischen Kenntnisse aus meiner Zeit am Max-Planck-Institut zunutze und errechnete einfallswinkelausfallswinkelmäßig, dass mich das Meer, also die extreme Ebbe, mit ihrer ernormen Saugkraft sozusagen aus der Bucht heraus katapultieren und weit auf den Atlantik hinaus schleudern würde. Ist das nicht gefährlich? werden Sie jetzt denken, vor allem mit so einem kleinen Boot? Ich kann Sie beruhigen: Es ist überhaupt nicht gefährlich. Schon gar nicht mit einem aufblasbaren Faltboot. Diese Art Wasserfahrzeuge ist dafür geradezu prädestiniert. Gesagt, getan. Die Ebbe kam und erfasste mich und mein Geschwimms. Es gab ein fürchterliches, saugendes, schmatzendes Geräusch, als sich die Ebbe mit ihren nach vorn gestülpten, salzigen Lippen uns einverleibte. Mein aufblasbares Faltboot ächzte und zitterte, die Heineken-Flaschen flogen mir nur so um die Ohren, dann wurde alles zappenduster und plötzlich wieder hell.

Um mich herum sah ich nichts als die endlose Weite des Atlantiks, in dem ein paar holländische Bierflaschen dümpelten. Dann durchfuhr mich ein heißer Schreck, ich suchte das Boot verzweifelt ab, bis mir klar wurde: Ich hatte den Bessen Genever verloren. Und außerdem keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren sollte. Aber wie so oft in meinem Leben halfen mir auch dieses Mal die Tiere des Ozeans. Myriaden wohlschmeckender Garnelen umklammerten die im Wasser treibenden Heineken-Bierflaschen und platzierten sie in einer langen Reihe über tausende von Seemeilen auf der Meeresoberfläche, so dass ich nur noch an ihnen entlang zu paddeln brauchte. Das Wunderbare dabei war: Jede Bierflasche, an der ich vorbei war, diente mir anschließend als erfrischendes Kaltgetränk.

So gelangte ich schon nach wenigen Wochen an die Mündung des Panamakanals. Den wollte ich durchqueren, um dann ruckzuck durch den Pazifik Richtung Hawaii und schwarzes Meersalz zu düsen. Am Eingang zum Panamakanal, vor den riesigen Toren der Schleuse, zückte ich sozusagen als Eintrittskarte meine Tigerente und hielt sie in das helle Licht der aufgehenden Sonne. Das hätte ich nicht tun sollen. Denn statt der erwarteten Freude empfing mich Hohn: „Schaut mal, der in seinem blöden, aufblasbaren Faltboot. Mit alberner Tigerente. Oh wie schön ist Panama! Denkste, Alter, Panama ist nicht schön! Panama ist scheiße! Und jetzt verpiss dich, bevor wir das Feuer eröffnen!“ Und schon warfen die ersten panamesischen Schleusenwärter abwassergefüllte Brustkaramellentüten nach mir. Von Entsetzen erfüllt, paddelte ich zurück. (Zum Glück bekam ich nichts mit vom Shitstorm in den asozialen Hetzwerken, hatte ich doch auf Madeira mein Smartphone gegen eine alte Seekarte eingetauscht, welche mir noch gute Dienste leisten sollte.)

Vor Jamaika legte ich erst mal eine Zigarettenpause ein. Was nun? Wie kam ich jetzt nach Hawaii? Ich konnte mein aufblasbares Faltboot ja schließlich nicht quer durch Mexiko ziehen, so über Land. Das wäre kaputt gegangen. Während ich dem davon ziehenden Rauch hinterher starrte, kam mir eine Idee: Ich würde die Segnungen des Klimawandels ausnutzen und durch die Nord-West-Passage fahren. Ich würde der erste Mensch sein, der dies mit einem aufblasbaren Faltboot tut. Ich checkte kurz meine Vorräte: Luft fürs Faltboot, Paddel – alles da. Nur kein Bier mehr. Dafür entdeckte ich in einer eigens dazu geschaffenen Falte der Außenhaut meines Bootes ein volle Tüte Brustkaramellen. Das würde reichen.

Voller Zuversicht brach ich auf, richtete den Bug gen Norden und ließ die warme Karibik hinter mir. (Dass gerade tropische Wirbelsturm-Saison war, machte mir nichts aus: Ich bin prinzipiell immer im Auge des Hurricanes unterwegs.) Hinter Kuba nahm ich Kurs West Richtung Florida und fuhr ab da die gesamte Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika entlang, vorbei an den ganzen berühmten Städten, die in den Roland-Emmerich-Filmen immer so kaputt gemacht werden. Na ja, Emmerich hat im 2. Weltkrieg auch ganz schön gelitten. Und Rees erst. Und Wesel. Aber ich schwafel ab. Weiter im Norden war dann irgendwann endlich Schluss mit USA. Da fing dann Kanada an. Das ist noch größer. Mit noch mehr Küste. Und jeder Menge Inseln davor. „Kanada“, sagt mein Frau, „zipfelt sich doch da draußen so aus.“ Recht hat sie. Weiter nördlich kommen noch mal wieder die USA, als Alaska getarnt. Aber da musste ich jetzt durch.

Vorsichtshalber hielt ich mich immer nahe an der Küste. Dies führte zu wunderbaren Begegnungen mit den dort ansässigen Inuit, die sich vor allem von meinen Brustkaramellen begeistert zeigten und mich für eine einzige Brustkaramelle mit Eisbärfellen, Seehundspeck und getrocknetem Walrossdung überhäuften. Mein aufblasbares Faltboot lag entsprechend tief im Wasser, als ich kurz nach Mitternacht vom Atlantischen in den Pazifischen Ozean hinüberglitt, leise eine Mischung aus russischer und amerikanischer Nationalhymne pfeifend. Anschließend fuhr ich die Küste von erst Alaska und dann Kanada entlang nach Süden, bis Vancouver. Hier tauschte ich die Gaben der Inuit gegen einen leistungsfähigen Außenbordmotor und reichlich Benzin ein. Besonders der Walrossdung, den ich, dekorativ in meine alte Seekarte eingeschlagen, als Authentic-Inuit-Ganja präsentierte, erzielte in der Altstadt von Vancouver Höchstpreise. Am Morgen meiner Abfahrt Richtung Hawaii stand die halbe Stadt am Ufer und winkte mit Eishockeyschlägern hinter mir her. Kanadier können sich freuen wie Kinder.

Der Pazifische Ozean. Der Stille Ozean. Der Blaue Riese. Das Über-Meer. Die Große Pfütze. Fröhlich knatterte der Außenborder, und ich freute mich irgendwie auf Südseemädchen. Die Zeit verging wie im Flug, obwohl ich mich ausschließlich auf dem Wasser fortbewegte. Unterwegs erblickte ich durch mein Fernglas eine Flotte merkwürdiger Schiffe voller merkwürdiger kleiner Flugzeuge und noch merkwürdiger aussehender Japaner, aber vielleicht war es auch nur eine Luftspiegelung auf der Meeresoberfläche. Es blieb ja auch alles ruhig.

Woran erkennt man, dass man sich Hawaii nähert? Treiben Blütenkränze auf den Wellen? Brausen unglaublich gut gebaute und unglaublich schöne Surferinnen und Surfer heran? Stimmen die fliegenden Fische plötzlich tropische Weisen an, so herzergreifend, so verlockend? Oder sieht man am Horizont einfach nur die größten Vulkane der Erde auftauchen? Ich will es hier verraten: Alles ist richtig. Hawaii besitzt sogar den eigentlich höchsten Berg der Erde. Weil die Hawaiianer aber so bescheiden sind, haben sie die Hälfte des Berges im Meer versteckt. Während ich also so vor den Inseln auf- und abkreuzte zwischen Blütenkränzen und Wellenreiterinnen und -reitern, umtost vom Gesang der fliegenden Fische, beschäftigte mich nur ein Gedanke: Wie kam ich jetzt an das schwarze Meersalz? Ich wusste, dass es auf der Insel Molokai hergestellt wird. Die liegt genau in der Mitte der Inselkette. Ich hatte aber auch gehört, dass die Hawaiianer in Sachen Salz keinen Spaß verstanden und vor allem das schwarze Meersalz scharf bewachen ließen. Und zwar von keinem Geringeren als von Tom Seleck.

Mir war klar: Wenn der mich sieht, dann ruft der sofort bei der Küstenwache oder, noch
schlimmer, bei diesem Typen mit den Dobermännern an. Was also tun? Da kam mir das fest in
mein aufblasbares Faltboot eingebaute, große Eisfach zu Hilfe. Dessen Tür ging urplötzlich auf,
das Innenlicht an und ich sah: 20 Großpackungen Magnum in unterschiedlichen
Geschmacksrichtungen. Der Rest war dann nur noch Routine: Alle Magnums rein in ein Paket und
ab die Post damit an Tom Selleck. Während der sich dann ein Magnum nach dem anderen
reinschob, darüber seine Aufgaben, seine Wachsamkeit und sein Telefon vergaß, drang ich im
nebelverhangenen Morgengrauen ins Salzlager ein und entwendete mir nichts dir nichts 56.000
Reagenzgläser mit jeweils 50 Gramm herrlichen Hawaiianischen schwarzen Meersalzes.

Als Tom Selleck schließlich nach dem letzten Magnum merkte, wie geschickt ich ihn herein gelegt hatte, war ich längst schon wieder draußen auf dem Meer, unterwegs Richtung Süden. Wieso Süden? Ganz einfach: Richtung Norden kannte ich ja schon. Mir stand wie so oft der Sinn nach Neuem. Panamakanal war ausgeschlossen, denn ich nahm an, dass an der Pazifikschleuse ähnlich unfreundliches Volk versammelt war. Daher hatte ich beschlossen, es den wirklich großen Seefahrern nachzutun und um Kap Hoorn herum zu fahren. Ich hatte noch Benzin, mein Paddel und meinen Playmobil-Klappspaten. Leider waren die Brustkaramellen aufgebraucht – ich hatte mit ihnen eine atemberaubend attraktive junge Surferin bestochen, die mich bei meiner Landung auf Molokai erwischt hatte. Dennoch würde ich weder Durst noch Hunger erleiden müssen. Denn ich hatte auf Höhe der Galapagos-Inseln eine wunderbare Entdeckung gemacht: Mein aufblasbares Faltboot verfügte über einen doppelten Boden! Darin verborgen: 487 Dosen original Arabisches Reiterfleisch mit extra viel Soße, nach einem Rezept von Clemens Wilmenrod, die erst seit knapp 28 Jahren abgelaufen waren. Also voll essbar, wenn auch ein wenig fad. Aber ich hatte ja das tolle Salz!

So zog ich schmausend und schmatzend Richtung Kap Hoorn, entlang der langen langen südamerikanischen Küste, die Kordilleren immer im Blick. Einmal schwebte von rechts, also von Westen, über die Wellen eine Art ätherischer Gesang zu mir. Dieser kam von den Galapagosinseln, und was ich hörte, waren die Paarungschöre der dort ansässigen, riesigen Landschildkröten. Es singen übrigens nur die Weibchen, die alle mit Vornamen Sirene heißen. Doch nun genug der Ornithologie und zurück zum „Remero más solitario al oeste de Lima“, wie die peruanischen Zeitungen mich nannten.

Kurz vor der Magellanstraße war das Benzin alle. Ich musste Kap Hoorn also umpaddeln. Wie immer war viel los an der Südspitze Amerikas: Weltumsegler, Einhandsegler, Einbeinsegler, vier zweijährige Windelsegler, ein 91 Jahre alter Seniorensegler sowie drei Deutschland-Achter. Wie immer war das Wetter entsetzlich: Sturm, Regen, Kälte, riesige Wellenberge. Wer sich ein Bild davon machen will, was ich durchgemacht habe, dem empfehle ich die Kap-Hoorn-Szene aus dem Film „Master and Commander“.

Irgendwann war es dann vorbei. Ich wachte auf, um mich herum war Stille. Ich wusste nicht, wo
ich war, welcher Tag war oder wohin ich trieb. Ich war wohl ohnmächtig geworden. Schwer
angeschlagen kränkte mein aufblasbares Faltboot im Wasser. Es hatte sehr viel Luft verloren.
Das konnte gefährlich werden. Zumal plötzlich an der Wasseroberfläche jene dreieckigen Flossen
auftauchten, die in der Regel nichts Gutes verheißen. Shark Attack! fuhr es mir durch den Kopf.
Ich ging in den Angriffsmodus. Wo waren meine Konservendosen mit arabischem Reiterfleisch?
Dem ersten Hai eine rein ins weit aufgerissene, gierige Maul. Zack dem nächsten! Und dem
nächsten! Plötzlich gab es einen Knall. Einer der Haie hatte seine Dose zerbissen und ihren Inhalt
verschluckt. Schon explodierte der zweite, dritte, vierte Hai. Die restlichen 87 fielen über die
Fetzen ihrer Artgenossen her. Das Wasser war dermaßen mit Blut getränkt, das ich beschloss,
diesen Teil des Atlantiks in einem feierlichen Akt „Das rote Meer“ zu taufen. Anschließend zog
ich mich diskret zurück und betrachte seit diesem Tag arabisches Reiterfleisch mit anderen
Augen.

Die Haie hatte ich also überstanden. Aber mein Boot sank. Ich brauchte Luft! Und dieses Mal schickte mir der Atlantische Ozean in seiner unendlichen Güte wahre, selbstlose Hilfe: Ein Wal tauchte neben mir aus der Tiefe, erkannte meine Not, legte sich auf die Seite und blies mein Faltboot wieder auf. Wal, da bläst er – nie waren mir diese Worte so lieb wie an diesem Tag.

Inzwischen hatte ich den Äquator überquert. Ich kam gut voran, weil der Wal mein Faltboot so
stramm aufgeblasen hatte, dass es trotz seiner gewaltigen Salz- und abnehmenden
Reiterfleischladung ungemein stromlinienförmig über die Wellen glitt. Bald schon grüßten
rechter Hand die Kanaren, und in der Luft lag ein Duft von Sahara und Afrika. Es muss in diesem
Augenblick gewesen sein, dass ich beschloss, nicht außen um Europa herum zu fahren, sondern
durchs Mittelmeer bis nach Marseille und dann zur Rhonemündung und die Rhone hoch, durch die
französischen Kanäle zum Rhein und den dann runter bis nach Hause. Also rein in die Straße von
Gibraltar, schön rechts halten und schön aufpassen, denn da ist immer viel Verkehr. Hat auch
alles gut geklappt. Aber dann muss ich wohl einen Moment nicht aufgepasst haben, hatte
vielleicht auch grad zu viel Kraft in den Armen, weil zwei Dosen arabisches Reiterfleisch intus –
jedenfalls gab es plötzlich einen gewaltigen Knall, Wasser spritzte hoch auf vor dem Bug meines
Bootes und als ich mich umsah, kam ein Kanonenboot volles Rohr auf mich zugebraust. An Bord
lauter kleinwüchsige, ältere Männer mit extrem straffen Gesichtszügen, die alle eng anliegende
grün-weiß-rote Matrosenanzüge trugen, durcheinander eine Art Vulgärlatein sprachen, mit
angespitzten Maccharoni drohten und alle aussahen wie Silvio Berlusconi. Ich war in meinem Elan
in italienischen Hoheitsgewässern gelandet, genauer gesagt: vor der Küste Sardiniens. Und die
berlusconische Privatküstenwache hielt mich doch glatt für eine Art Selbstmordattentäter,
bereit, mit seinem mit Unmengen Sprengstoff gefüllten Boot in die an der Küste gelegene
Residenz des Silvio Berlusconi zu rauschen. Kurze Zeit später stand ich mit meinem Faltboot, den
restlichen 36 Dosen arabischen Reiterfleisches sowie 56.000 Reagenzgläsern mit Hawaiianischem
schwarzen Meersalz vor einem weiteren, sehr gestrafften Silvio Berlusconi. Dieses Mal, das
merkte ich schon am Palast, in dem das Ganze stattfand, sowie an den zahlreichen, leicht
bekleideten jungen Damen, handelte es sich um das Original. Berlusconi war nicht so blöd, wie
seine Doppelgänger aussahen, und hatte schnell erkannt, was er da für einen Fang gemacht
hatte. Mit seinem fröhlichen, aber leider ständigen Grinsen im Gesicht erzählte er mir von
seinem lieben, leider viel zu früh verstorbenen Freund Muammar Abu Minyar al-Gaddafi, der
eine ganz besondere Form der Gastfreundschaft pflegte: Kam ein Ausländer nach Libyen zu
Besuch, aus einem, sagen wir mal: wohlhabenden Land, dann durfte er so lange die
Gastfreundschaft Libyens genießen, bis dass jemand die leider ziemlich teure Ausreise bezahlt
hatte. Das, so Berlusconi, sei doch wirklich ein gute Idee, und er werde gleich mal die Anna-Lena
anrufen.

(Exkurs: Nun werden Sie denken, was auch ich dachte: Moment, der Berlusconi, der ist doch vor
Kurzem erst gestorben. Wieso… Ein dröhnendes Gelächter – Teuflisch? Infernalisch? Dämonisch? –
unterbrach mein Grübeln, und ich beschloss, vorsichtshalber nicht weiter drüber nachzudenken.
Und nun zurück zur Erzählung.)

Ich ahnte, dass sich das alles ab jetzt arg in die Länge ziehen konnte und meinen gesamten Zeitplan – der Advent kam schließlich immer näher – über den Haufen werfen würde. Also beschloss ich, meine Ausreise selbst zu bezahlen und bot Berlusconi für meine sofortige Freilassung sämtliche 36 Konserven arabischen Reiterfleisches und ein Reagenzglas schwarzes Salz an. Als Berlusconi das hörte, wurde er fuchsteufelswild: Fleisch von arabischen Reitern, das sei ja wohl die Höhe, das könne er den Schwestern und Brüdern Italiens nicht zumuten. Zornig rief er immer wieder einen komischen Namen mit M oder so. Da wusste ich, es wurde ernst. Also habe ich schnell einen alternativen Vorschlag gemacht: Alle Reagenzgläser mit Salz und nur eine Dose Reiterfleisch. Berlusconi kostete das Salz und war einverstanden. Er war sogar so begeistert vom Geschmack des Salzes, dass er mir ein Reagenzglas mit Salz schenkte und ich auch das Reiterfleisch behalten durfte. Danach machte ich mich schnell übers Mittelmeer davon. Mein aufblasbares Faltboot war ja jetzt wieder ganz leicht: nur noch ich, mein Paddel, mein Playmobil-Klappspaten und ein Reagenzglas voll mit herrlichem schwarzen Meersalz aus Hawaii. Das arabische Reiterfleisch hatte ich vorher irgendwo auf Sardinien im Keller einer unendlich kleinen Kapelle vergraben – für den Fall, dass Silvio es sich doch noch mal anders überlegt. Oder eine Hungersnot im Vatikan ausbricht.

Eine gewisse Zeit danach legte ich im Vieux Port von Marseille an. Ich wollte mir eine kleine
Fischsuppe gönnen, um dann in Richtung Rhonemündung weiterzuziehen. Doch bevor ich mich so
richtig stadtfein machen konnte, ertönte oben vom Kai eine mir wohlbekannte Stimme: „Kannst
du mir bitte mal sagen, wo du jetzt herkommst?“ Ich schaute auf und sah meine Frau. Verflixt,
dachte ich, ich habe ganz vergessen, ihr Bescheid zu sagen. „Du kommst jetzt sofort mit nach
Hause“, sagte meine Frau. Und wenn sie so was in so einem Ton sagt, dann widerspricht man ihr
besser nicht. Ich jedenfalls nicht. Also hievten wir das Faltboot aus dem Wasser und verstauten
den ganzen Krempel auf dem 16-achsigen Tieflader, den meine Frau in einem Baumarkt
organisiert hatte und mit dem sie seit Tagen die Innenstadt von Marseille blockierte.
Anschließend fuhren wir nach Hause. Während der Fahrt erzählte ich meiner Frau die ganze
Geschichte. „Und was machst du jetzt mit dem einen Reagenzglas voll Salz?“ fragte sie am Ende.

Nun, dieses einzige gerettete Reagenzglas liegt jetzt irgendwo bei uns in irgendeiner Schublade.
Es ist leer. Wieso das? Nun, unterwegs auf einem sehr windigen Rastplatz auf der Route des
Crêtes in den Vogesen (wenn meine Frau mit einem 16-achsigen Tieflader unterwegs ist, nimmt
sie immer diese Route), wollte ich sie mal kurz am Salze riechen lassen. Ich öffnete also das
Reagenzglas und – kennen Sie die Donny’s Ashes Scene aus „The Big Lebowski“? >

Na, sehen Sie.