Klassentreffen

komm ich gepimpt
oder so wie ich bin
mach ich auf wichtig
oder bleib ich entspannt
höre ich zu
oder lass ich reden
erzähl ich von mir
oder später von andern
ist es schön
oder bin ich mir peinlich

geh ich hin
oder lieber doch nicht

Laokoon im Garten

eine amsel
hektisch hüpft sie umher
immer wieder den schnabel übers gras streifend
ein wurm
windet sich schlangengleich um den schnabel
viel zu grosser wurm
boawurm pythonwurm anakondawurm
ringelt sich immer stärker um den schnabel
die amsel zusehends verzweifelt versucht
den wurm zu bändigen
ihr beutetier das opfer
das sich wehrt
sich schlängelt und sich windet
zu einem bedrohlichen knäuel der kraft
panisch fliegt die amsel davon
mit zwangsverschlossenem schnabel

 

Schutzengel?

ungeduldig warte ich
dass der viel zu lange gelenkebus
den weg an der ampel freigibt
endlich!! endlich endlich!
sofort tret ich in die pedale
zische los
die ampel schaltet grad runter von rot auf gelb noch nicht grün
da plötzlich
wie aus dem nichts
kommt von links angerauscht
mit vollgas noch so eben bei dunkelgelb über die kreuzung

kein auto

 

 

im blick nach oben
die frage an die wolken
wohin will der wind

 

abend im juni
land in totaler stille
plötzlich ein aufschrei

 

ein mann im freibad
auf dem rücken vaterland
tatoo in fraktur

 

 

Der Fluss

ich fließe
seit tausenden jahren
meine quelle
sprudelt immer noch
ich fließe
zwischen bergen wäldern wiesen
ich grub mein bett
ich schuf mein tal
ich fließe
ich nährte mich
von flüssen und bächen
vom regen
ich fließe
ich sammelte wasser
ich gab es zurück
an pflanzen und tiere
ich fließe
ich wurde schmaler und breiter
im wechsel der jahreszeiten
meine ufer ließen mir raum zum leben

dann
eines tages
der mensch

ich fließe
immer noch

Amselhähne

(inspiriert von Peter Handke)

im affenzahn zischen
sie durch den garten
schwarze tiefflieger
der gelbe schnabel gibt die richtung vor
delphinartig geht es in wellen
über hecken und zäune
immer knapp vorbei an der kollision
millimeterarbeit im top speed
gern begleitet von empörtem zetern
vor allem bei konkurrenz
kommt es zu schlägereien
bis abends dann hoch auf dem dach
das stolze singen beginnt
ein art
we are the champions
oder so ähnlich

 

Krawall im Kirschbaum

drei rotkehlchenmännchen
krawallkehlchen
großes getue geschilpe gezeter
gefiedertes Füsilierbataillon
dann kneift erst der eine
dann der andere
zurück auf dem zweig bleibt
der sieger
weiß nicht wohin mit seinem triumph

knapp über ihm
mauersegler im tiefflug
ach denkt er
könnte ich doch nur ein mal so wie die

 

Geschissen

als ich kind war
schiss mir eine schwalbe auf den kopf
als ich ein bisschen älter war
schiss mir eine taube auf den kopf
als ich noch ein bisschen älter war
schiss mir eine möwe auf den kopf
jetzt bin ich noch ein bisschen älter
und frage mich
wann scheißt mir endlich ein adler auf den kopf

aber vielleicht ist es am ende
auch nur eine ente

oder ein emu?

 

Poème merdique

quand j’étais enfant
une hirondelle m’a chié sur la tête
quand j’étais un peu plus âgé
un pigeon m’a chié sur la tête
quand j’étais encore un peu plus vieux
une mouette m’a chié sur la tête
maintenant je suis encore un peu plus vieux
et je me demande
quand est-ce qu’un aigle me chiera sur la tête

mais peut-être que finalement
c’est juste un canard

ou un émeu ?

 

Natural born killer

rotkehlchen fängt
regenwurm
rein in den schnabel
viel zu groß
der wurm
rotkehlchen hackt
mit dem schnabel
regenwurm
in kleine saftige stücke
und dann ab damit
zu den rotkehlchen im nest

blutrotkehlchen

 

Mai & Maus & Nikolaus

es postet süße zaubermaus
ich wünsch mir einen nikolaus
mitten im mai
das liest dann so ein nikolaus
und denkt sich hallo! zaubermaus
da schau ich mal vorbei
jetzt steht er bei der zaubermaus
blöd grinsend auf der matte
denn er ist gar kein nikolaus
und sie ist eine ratte

(Visual: Bella Frauenlob, „Meteoriteneinschlag in der Schneiderei“, Detail)

 

 

Ständchen

hui
da kommt ein ständchen
angesaust
auf seinem rollerchen
hütchen bärtchen mäntelchen
ver-ray-ban-tes gesichtchen
hinten noch das rucksäckchen
so zischt es zack an uns vorbei
modernes düsentriebchen
urbanes lifestylchen
mit 20 km/h
und alles voll elektro

 

 

Dufte Meise

die meise
flügelschlägt
auf ihre weise
eine schneise
durch die luft
sie tut dies so leise
man erkennt sie
nur am duft

 

 

Glaubtebekenntnis

ich glaubte
dass alles mal besser wird
ich glaubte
dass die vernunft dominiert
ich glaubte
dass klugheit die dummheit aufwiegt
ich glaubte
dass liebe den hass besiegt

ich glaubte
dass die leute endlich aufwachen
dass schluss sei mit immer so weiter machen
dass irgendwann auch der letzte versteht
dass es um unser leben geht

ich glaubte
dass noch alles zu retten sei
ich glaubte
dass sei niemandem einerlei
ich glaubte
dass lässt doch keinen ruhn
ich glaubte
dass menschen gern gutes tun

ich glaubte

 

zeilen werden fünf
glücklich erhöht auf sieben
dann zurück auf fünf

 

sagen will ich viel
schreiben darf ich so wenig
gut für die botschaft

 

woraus ist die welt
wie oft noch gibt es leben
wozu schreib ich das

 

garten geräusche
am morgen und am abend
meist sehr früh und spät

 

auto motor läuft
menschen stehen daneben
hören riechen nichts

 

hund zieht an leine
schwanz wedelnde neugierde
mensch hinter sich her

 

bier flaschen männer
haltestellen besatzung
bus stoppt vergeblich

 

im bus mit w-lan
schweigen ohrenbetäubend
nur der motor stört

 

online netzwerke
schädelstätten des geistes
tempel des irrsinns

 

apfelsinenmann
rauch steigt aus nasenlöchern
er brennt für sein land

 

morgens die freude
schau wir sind noch immer da
hält bis abends an

 

ich habe freunde
die retten menschen leben
mitmenschenfreunde
(für G&G)

 

sturzflug ins flugloch
im nest schreit alles hunger
bin gleich wieder da

 

blick in den himmel
ein erster mauersegler
sommervorgefühl

 

Ostern auf See

auf dem großen weiten meer
ostert es gerade sehr
drum sollte man beizeiten
eierfarben vorbereiten
weil an den längen und den breiten
graden in solch krummen zeiten
hasen eierfarben brauchen
wenn sie nach ostereiern tauchen

 

Das Nachbarbett

immer wieder
mitten in der nacht
tür auf licht an
einmarsch der pflegekräfte
intensive zuwendung
am nachbarbett

heben drehen wenden
seufzen stöhnen ächzen
beruhigen fragen trösten
aufdecken ausrichten zudecken
pflege hilfe menschlichkeit
dann irgendwann
ein letztes alles gut
zu den schritten hinaus
zum licht wieder aus
tür fällt ins schloss
und in all der zeit
im bett daneben
liegt einer
aufgewacht
rausgerissen
aus mühsam selbst erkämpftem schlaf
einer der alles
miterlebt
gehört gerochen und gefühlt
und der weiß
dass auch in dieser nacht
und in den folgenden
es wieder so geschehen wird
und der jetzt wach liegt wartet
dass es losgeht
mit dem leisen rufen und dem stillen jammern
bis dass dann endlich ruhe kommt
aus dem tropf über dem
nachbarbett

mitleid
könnte man meinen
kommt von
mitleiden

 

Poèmes Bébé en 9 Mois

1

les bébés
sont nés
bouche bée
seraient-ils
étonnés ?

2

un bébé
bcbg
conditionné
absolument
à éviter !

3

le bébé
a prolongé
visiblement
la courbe d’horizon
de sa maman

4

le bébé
côtes des parents a.o.c.
cuvée exceptionnelle
mis en bouteille
au domaine ?

5

le bébé
bonne année
pas encore né(e)
il prend son temps
jusqu’au printemps

6

un bébé
au sexe ignoré
garde sa neutralité
devant la question
du prénom

7

les bébés
sont alertés
face à un monde
changé
en no-man’s-land

8

les bébés
ont l’habitude
plutôt rude
de se manifester
à coups de pieds

9

le bébé
ensanglanté
poussé tiré lavé crêmé
crie au nez
du monde entier

Zwischenruf

nicht immer ist es zu schnell vorbei
nicht jedes glück hat seinen preis
nicht immer ist niemals ein weg
nicht alles hat worte das lebt
nicht immer ist zeit nichts als geld
nicht alles ist immer zu viel
nicht jedes mal ist eines das zählt
nicht immer muss alles noch mehr
nicht alles was ist vergeht

 

La Vision de Perceval

trois gouttes de sang dans la neige
ta bouche si rouge et tes yeux de feu
tombés du ciel, pris dans un piège
la lune les éclaire et pleure un peu

la nuit les caresse de ses mains voluptueuses
cette fée du mal, triste et heureuse
elle lutte en vain l‘aurore qui monte
la neige qui fond et ta bouche qui chante

 

Migrationshintergrundswinter

eine junge
frau
kämpft sich
mühsam
durch den schnee
und dem
ist es völlig egal
wo sie herkommt

vom schnee können sich so manche
eine flocke abschneiden

 

Berichte aus der Idyllenbucht

(Peter Handke zum Gruß)

letztes jahr haben wir nistkästen aufgehängt
für unsere gefiederten freunde
warum nicht mal was für engel tun

 

eine kleine meisenbande
düst durch den garten
ungestüme halbstarke
winzlinge
zum glück

 

auf den pfannen
aller häuser
frostiger glanz
der winter hat
die dächer gebohnert

 

im garten wird beschnitten
jüdisch-muslimische verschwörung
mitten in neuss

krähenflug überm haus
stille
schweigen
krähen haben uns nichts zu raben

 

ein eichelhäherpaar baut sich eine bleibe
ein neues zuhause
im baum nebenan
ich denke
ich wipfel mich mal ran
ganz ohne brot und salz

 

kaninchen im garten
dem geht es nicht gut
krank
sterbensbereit
unsere
palliativstation

 

da ist
fast fertig
ein nest im baum
man muss schon
genau hinsehen
damit man es sieht
wildes nest
noch ohne hocker
verborgenes nest
so diskret
dürfen menschen ruhig auch mal sein

 

die neuen nachbarn
renovieren seit monaten
an ihrem haus
meist am wochenende
jetzt haben sie das vorgartenschicksal
besiegelt
versiegelt
und – mittig –
eine prächtige blautanne platziert
so geht das heute:
ein haus kaufen
einen weihnachtsbaum pflanzen
und jetzt
bin ich mal auf die kinder gespannt

 

der kleine apfelbaum
am zaun
bekommt schon
gelbe blätter
ende august
visitenkarten des herbstes

 

leeres haus
ich schaue täglich hinüber
aufs haus
die alten plastikblumen
wollen nicht welken
die gardinen hängen sich ab
trotzig weiter einblick verwehrend
obwohl niemand mehr da
der vorgarten verhält sich aufgeräumt
nachhaltig gepflegt dass nichts falsches mehr wächst
der briefkasten bleibt
immer länger immer leerer
seit wochen ist frau x schon tot
ihr heim steht unverändert
unbewohnt wie nie
unbehaust wie immer

 

pappe im fenster
die laterne
wirft ein schlechtes licht
ins zimmer
einleuchtende schlaflosigkeit
dagegen schützt die kartonnage
hässlich hilft

 

Das Rollen der Tonnen

rollkoffern gleich
rollen und rattern
sie übers pflaster
morgens und abends
von zeit zu zeit
es geht nicht zum flieger
und auch nicht um termine
müll macht mobil
in der nachbarschaft
die gelben
die blauen
die grauen
mit und ohne
rosa deckel
schließlich die braunen
sie sind die besten

und das bei der farbe

Komorebi

komorebi
ist japanisch
und bedeutet
ins deutsche übersetzt
das lichtspiel der blätter eines baumes im wind

das lichtspiel der blätter eines baumes im wind
ist deutsch
und bedeutet
ins japanische übersetzt
komorebi

in der einen sprache wird die welt
beschrieben
in der anderen sprache wird die welt
benannt

was lernen wir bloß daraus

(Merci an Wim Wenders für die Inspiration)

 

 

Ratlos

wenn nicht wer wieso
was nicht wenn wozu
wem wie wo warum
wenn nicht du wann dann
wer wie was wo sonst
wo nicht doch wie wer
wenn nicht ich dann du
wer nicht jetzt was wenn
wenn wann wie wohin
wann wer wen wie auch
wie wir du ich was
wenn nicht bald dann wer
wenn nicht ihr wir doch

wenn nicht wie dann so

 

 

Pyrenäenweisheit

Der berg ist hoch, das tal ist tief
der weg dazwischen meistens schief

 

 

Trostlos

all das
schreien drohen weinen
spendet keinen trost

all das
rächen und das wieder rächen
spendet keinen trost

all das
ihr seid schlecht nein ihr seid schlecht
spendet keinen trost

all das
wollen werden müssen wir
spendet keinen trost

all das
wir nicht und wir auch nicht
spendet keinen trost

all das
hinsehn oder wegsehn
spendet keinen trost

all das
wissen und das besser wissen
spendet keinen trost

all das
weiter so und schluss damit
spendet keinen trost

all das
schreiben und das schreiben und das immer wieder schreiben

spendet keinen trost

 

 

Kein Frühstück bei Tiffany’s

morgens um zehn
an der supermarktkasse
legt ein am ganzen körper
bebender mann
sein frühstück aufs band:

flasche wodka
dose cola
schachtel zigaretten
alles vom billigsten

kassenbon?
kopfschütteln
die zitternde hand
lässt den schein mehr fallen
als dass sie ihn reicht

dann wankt er davon
immer noch zitternd
immer noch bebend

noch lebend

 

 

An die Meister des Krieges

dies geht an euch
meister des krieges
die ihr zu töten befiehlt

ich kann euch nicht sehen neben
den männern, den frauen, den kindern
die leiden, die schreien, die sterben

wo versteckt ihr euch?
hinter euren mikrofonen?
hinter euren interessen?
hinter euren profiten?
hinter eurer religion?
hinter eurer gier nach macht?

dies geht an euch
meister des krieges
seht die ruinen, die ihr schafft
auf allen seiten
und in allen seelen

schande über euch

Nahöstliche Steigerungsformel

hass
hamas
hamassaker

 

Über den Tod

der tod wenn er kommt
dachte ich
klingelt nicht an der tür
falsch
schreien die nachrichten
tut er doch

 

Wetter

versteckt hinter himmelsblau
sanftes donnerrollen
drohendes versprechen
dunkel dräut

plötzlich schweigen sonnenstrahlen
immer stärker ein wind
dann regen
leise

 

Erkenntnisreise

stell dir vor
du verlässt
dein zuhause
deine stadt
dein land
deinen planeten
dieses sonnensystem

und dann

immer weiter
hinaus
hinein
in die unendlichkeit

und dann

drehst du dich um
schaust du zurück
und erkennst
was du verlassen hast

eine
absolute
ungeheuerliche
unbedeutsamkeit

 

Identitätskrise

wenn alle
in ihrer jeweils eigenen welt
mit ihren jeweils eigenen gefühlen
gedanken
erfahrungen
folgerungen
haltungen
argumenten
und werten

verharren

wie sollen wir dann jemals wieder
zusammen etwas gemeinsames schaffen

A une voiture rouge

la cerise
traumatise
la volonté du conducteur

la cerise
improvise
en sa seule faveur

la cerise
favorise
les farceurs

la cerise
se déguise
en pompier-sapeur

la cerise
analyse
la circulation

la cerise
rétrovise
ses suivants

la cerise
concrétise
tout ce qui bouge

la cerise
je précise
est une voiture rouge

 

 

massen von wasser
auf der asche von wäldern
darüber hinweg ein sturm
die erde bebt
sie kann nicht mehr
anders

 

 

altersmüll.de

oft so mürrisch hilfsbereit
schweigsam worte haben’s weit
schleppt sich still die straße lang
keine lust kein tatendrang
nur im auto noch mobil
und selbst das hilft ihm nicht viel
kaputt gesoffen
grau geraucht
und in den müden augen nur ein satz:
ich werd nicht mehr gebraucht

 

Automobile Beobachungen

japanischer möchtegernsportwagen
zahnspangendosengleich
auf drei rädern
gekippt
steht er da
hinten lädiert repariert beklebt getaped
typische sportverletzung halt

 

der alte audi vor der garage denkt schon seit jahren:
ich führ so gern da mal rein
jedoch
der besitzer kennt diese verbform nicht

Liebeserklärung

meine liebe steht auf dem dach
eines brennenden hauses
und schreit nicht um hilfe

meine liebe lebt von geborgter zeit
stunde um stunde
und schaut nicht auf die uhr

meine liebe läuft am himmel entlang
immer schneller
bis dass ihr schwindlig wird

meine liebe kuschelt sich
in das nest jedes lächelns
um lippen, die keiner kennt

meine liebe weiss nichts
vom ewigen aber
und hat keine furcht vor dem doch

meine liebe braucht liebe
oder zumindest die hoffnung
dass es sie trotz allem gibt

meine liebe steht auf dem dach
eines brennenden hauses
und schreit nicht um hilfe

immer wieder

 

Septemberfolgen

zwei hochhaustürme
zwei passagierflugzeuge
eine handvoll mörder
über 3000 tote
viele ungerechte kriege
und noch mehr tote
bis heute
und in zukunft

 

Poème à faire mijoter à petit feu

un navarin marin
à la sauce succulente
embaume de son parfum
presque une presqu‘île complète
dans l‘océan de la mémoire

quelle métamorphose
de la brise marine

 

Salut des vacances

de l‘autre bout
de l‘océan
une voile blanche
ou une carte postale
tension au-dessus
des vagues
qui fera trembler
un vieux continent
devenu superbemarché
pauvre europe

 

Wartezeit

es brennt ein fisch am horizont
in langen, grünen flammen
es glüht ein junger mann in mir
vor sinnlosem Verlangen

es tanzt ein baum zur mittagszeit
mit ungelenken sprüngen
es flattert in mein herz hinein
ein kolibri mit tauben schwingen

es schreit ein tier zum mond hinauf
vor rasendheißem zorn
es schweigt der fluss im morgenrot
die sonne scheint die erde tot

und alles bleibt nicht wie es war
und nichts beginnt von vorn

Ich hätte dir gern ein Gedicht geschrieben

ich hätte dir gern ein gedicht geschrieben
doch ich sitz‘ hier und nichts fällt mir ein
was hat mir bloß mein dichten vertrieben
ich sitz‘ hier und fühl‘ mich allein

ich hätte dir gern ein gedicht geschrieben
so eins, wie du sie an mir magst
ich wäre so gerne noch bei dir geblieben
als du heute morgen neben mir lagst

ich hätte dir fast ein gedicht geschrieben
weil du jeden tag mir eins gibst
doch jetzt kommst du herein
zerstörst mir den reim
und sagst mir, dass du mich liebst

 

Loslösung

ein alter baum
ein zarter zweig
ein letztes blatt
ein leises zittern
dann
ein sanftes schweben

 

Inspiration

schreib doch mal
sagte sie
ein gedicht über die lust

lust
sagte ich
lust?
ich?
das kann ja lustich werden

 

Mal-Werk

letztes mal
immer mal
dieses mal
nächstes mal
kein mal
ander mal
wieder mal
jedes mal

lass mal

 

Männerleiden

mein linker finger stinkt nach matjes
mein rechter fuß fährt sich zu blei
an meinen plomben kleben katjes
es hängt das eine immer tiefer
als das andere ei

 

Der Köterist

der köterist
ist ein faschist
der von sich glaubt
dass er keiner ist

er macht uns anderen gerne beine
vom unteren ende seiner leine
am oberen, das ist bekannt,
mangelt es öfters am verstand

der köterist
ist terrorist
der nicht weiß
dass er einer ist

er liebt abgöttisch seinen hund
egal, ob schwarz, ob weiß, ob bunt
über den mensch stellt er das tier
der hund, der knurrt, kann nichts dafür

der köterist
ist ein sadist
der nicht erkennt

dass er einer ist
 

mein Hund tut dies nicht und nicht das

er will nur spielen, macht nur spaß

und scheißt er noch so ungeheuer –

wofür zahlt man denn hundesteuer
 


der köterist
ist egoist
der ignoriert

dass er einer ist
 


so zieht er täglich seine spuren

durch unsere schöne menschenwelt

und seine armen kreaturen

müssen tun, was ihm gefällt
 


der köterist

ist wie er ist
und wehe dir

wenn du keiner bist

Wenn Schützen einen Graben graben

neulich fand ich einen graben
in dem sah ich schützen graben
– edle schützen, darf ich haben
teil am schützen und graben?
– dazu muss du dich erst laben
an einem schützen hier im graben!
– ach so, dann möchte ich am graben
und am schützen und am laben
lieber keinen anteil
haben

und die moral von der geschicht:
wenn schützen keinen graben haben
graben sie einen schützengraben

 

Rêve du Sagittaire

des quatre points cardinaux
j‘en tiens deux
entre mes mains
la tension de l‘horizon
courbé comme un arc
dont je serai un jour
la flèche

 

Ostseelied

(für Ilsebill, den Butt und alle Seglerinnen dieser Welt)

auf störtebekers spuren
rauscht unser schiff durch die see
nasses, graugrünes laken
zerwühlt noch vom sturm der vergangenen nacht
der hering schmeckt fad
es fehlt das salz in der suppe

treiben wir vor lübeck kieloben
haben wir grund auf der höhe von gotland
such ich nach dir in den sunden
während du in den schären über mich schimpfst
zieht es mich wieder nach petersburg
und du wartest in kopenhagen am hafen

du sagst mir vor rügen die wahrheit
und ich belüg dich im belt
inseln stehen geduldig schlange
kreidefelsenbleich in der brandung
möwen lachen im aufwind
und kommen niemals zur ruhe

treiben wir vor lübeck kieloben
haben wir grund auf der höhe von gotland
such ich nach dir in den sunden
während du in den schären über mich schimpfst
zieht es mich wieder nach petersburg
und du wartest in kopenhagen am hafen

der tag hat vor der nacht die segel gestrichen
still ruht die see unter sternen
der mond träumt vom schlachten im skaggerak
piratenspuren enden blutig unter‘m schafott
in den kojen lauert auf unsere träume
der klabautermann mit sandigen händen

treiben wir vor lübeck kieloben
haben wir grund auf der höhe von gotland
such ich nach dir in den sunden
während du in den schären über mich schimpfst
zieht es mich wieder nach petersburg
und du wartest in kopenhagen am hafen

 

Phraséologie Relative

celui qui dit
celui qui parle
celui qui crie
celui qui râle
celui qui veut
celui qui peut
celui qui fait
celui qui sait
celui qui prie
celui qui chie

 

Moderner Spießerneid

dein haus ist größer
dein job ist wichtiger
dein vorgarten ist felsiger
dein konto ist fetter
dein auto ist dicker
dein carport ist schicker
dein iphone ist schwärzer
deine frau ist geiler
deine kinder sind schlauer
dein schwanz ist länger
als ich

 

Meisenkastenflugverkehr

der tower erteilt
am laufenden band
start- und landeerlaubnis
so fliegt es
immer mit höchster geschwindigkeit
passgenau ins loch
und wieder hinaus
niemals anstoss nehmend
gierig piepst es pausenlos
fluglotse hunger
immer bei der arbeit

 

Schreckliches Gedicht

die finger fest in die wunden gedrückt
die wir uns bewusstlos geschlagen
dreh das messer noch einmal herum, geliebte
hinein ins fleisch bis zum schaft

wo bleibt der tritt in die magengrube
die haken in leber und nieren
augen zu und drauflosgelitten
bis alles wehtut und nichts mehr hilft

die zunge gespitzt und in gift getränkt
die lippen rasiermesserscharf
wer jetzt die zähne zusammenbeisst
muss lernen wie blut schmeckt

hilflos zittern unter den hieben
die der andere gegen sich selber führt
verzweiflung herrscht wenn blinde wut
der liebe das wort im munde verdreht

am ende bleibt in den herzen
ein ebbegebeuteltes wattenmeer
grau und leer bis zum horizont
bepflastert mit salzigen pfützen

und der hoffnung auf flut

 

Sofias Wogenlied*

*Einst geschrieben anlässlich der ersten Überquerung des Ärmelkanals durch den Säugling Sofia Gerda S.

kalte graue wellen
tragen dich
doch du willst noch nichts wissen
von der see

die grüne küste kents im nebel
ist dir scheissegal
die gotik canterburys ist ein furz
im zeitalter der windel

viele hat die insel kommen sehen
gelandet sind die wenigsten
geblieben sind ein paar
und später wollte niemand es gewesen sein

so jung wie du
war kein eroberer
doch noch in 1066 jahren
wird in den pubs von dir die rede sein

kalte graue wellen
tragen dich
du wirst noch viel lernen
von der see

 

Klaglos

das große klaglos
habe ich gezogen
kein wort mehr!
still und aus
vor allem endlich vorbei
soll es sein

das große klaglos
in der lebenslotterie
und deshalb ruhe jetzt!
nieten gibt es schon genug
die zunge beisst sich
blutig durch

das große klaglos
wo jede nummer nie gewinnt
tausend jahre lachhaft!
her mit hansaplast und tesafilm
uhu drauf und pattex
voll die lippen

das große klaglos
habe ich gezogen
doch jetzt kein wort mehr!
still und aus
und trotzdem nicht vorbei
will es sein


Moritat vom Elch, der nicht in Brandenburg bleiben wollte

zugewandert aus dem osten
kam nach brandenburg ein elch
wollte mal vom westen kosten
und trinken aus dem wohlstandskelch

tief im wald auf einer lichtung
sah so mancher mensch ihn stehn
„ist das wahrheit? ist das dichtung?
so’n großes reh hab ich noch nie gesehn“

der elch, er wurd‘ zur sensation
man schrieb im wundertaten zu
doch er mied jedes mikrofon
wollte ganz einfach seine ruh‘

doch mit der ruh‘ war es vorbei
nicht, weil der elch ein lämmlein riss
nein, es gab riesengroß‘ geschrei
als er sonntags vor die kirche schiss

da kamen alle angelaufen
von nah und fern, von taz bis bild
sie starrten staunend auf den haufen
und posteten danach wie wild

dem elch war all dies scheißegal
er sprach zu sich unter den tannen:
„das alles ist nicht mehr normal“
und machte sich des nachts von dannen

so zog es fort, das stolze tier
und wandte sich gen süden
es trabte bis nach agadir
elche tun selten schnell ermüden

dort an des atlantiks küste
badete der elch am strand
danach ging er in die wüste
er hatte plötzlich lust auf sand

in der nomaden guten händen
lebte der elch dann kreuzfidel
und so kann das hier happy enden
der elch ist heute ein kamel


Neuanfang

der blaue baum
 vor meiner tür

schlug eines nachts
 mit mürben ästen

an das spröde eisen

als gelbes wasser

aus dem abfluss stieg

und gurgelnd in die wanne floss

der blaue baum 
vor meiner tür

trat eines nachts
 mit faulen wurzeln

nach verätzten hunden

als grüner speichel

leise plätschernd durch den rinnstein rann

und regenbogenfische übers pflaster huschten

der blaue baum 
vor meiner tür

starb eines morgens

als sonnenstrahlen auf ihn niederfielen

aus einem blauen himmelsloch

als milder wind

den staub von seinen zweigen blies

als irgendwo ein vogel sang

zum ersten mal

seit zwanzig jahren


Les larmes du rasoir

les larmes du rasoir
ne coulent pas
elles gouttent
goutte par goutte
au goût amer
du fer
à repasser

les larmes du rasoir
sont alarmantes
comme des demandes
comme des commandes
comme des amendes
larmantables lamentables
à table

les larmes du rasoir
rasables risibles
irrésistibles
ils rasent la peau
ils rasent les murs
ça me rase
bien sûr


Le cure-curé-dent

le cure-curé-dent
d’abord
cure la dent
mais ça dure
quand on a la dent dure
puis
la dent une fois curée
arrive le curé
à pas mesurés
religion en purée
longue durée
endurée

à s’en curer le nez

 


Zahnstocher-Reklame

wer stochert so wild im mund herum
es ist der zahnstocher er stochert stumm
in jedem raum zwischen den zähnen
tut er speisereste wähnen
und seines holzes spitze spitze
schafft es in die schmalste ritze

statt mit dem finger nachzufühlen
statt mit der zunge rumzuwühlen
greif schnell zum stocher doch vergiss nicht
mit etwas rotwein nachzuspülen